Augenthaler erlebt sein kleines Wunder

Der SSC Neapel erreicht durch ein 2:2 bei Bayern München (Hinspiel: 2:0) das Finale des UEFA-Pokals  ■  Aus München Herr Thömmes

Der Niederbayer ist von Haus aus eher ein etwas dickschädeliger Mensch. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß Klaus Augenthaler erst einmal die Backen aufblies und die Pupillen nach oben drehte, als er zu später Stunde um seine Meinung gebeten wurde bezüglich der Qualitäten der Nummer Zehn im Dress des SSC Neapel. Schließlich hatte sich der Bayern-Libero zuvor in äußerst despektierlicher Weise geäußert über Diego Armando Maradona: Nur gut, wenn der mitwirke bei den Italienern, die Münchner hätten es dann eben nur mit zehn Kontrahenten zu tun. Sollte heißen, der 1,67 Meter große Stumpen aus Argentinein sei keiner weiteren Beachtung mehr wert, denn: „Wenn ich so wenig laufen würde wie der, würde ich schon längst nicht mehr beim FC Bayern spielen.“

Das war nach dem Spiel in Neapel und eine etwas eingeschränkte Sicht der Dinge, denn beiden Toren im Hinspiel gingen Ballkontakte Maradonas voraus, ein Auftritt also, nicht ganz bar jeder Effektivität. Doch ansonsten war von dem Kleinen wirklich nicht viel zu sehen gewesen. Der jedoch beklagte einige marode Körperpartien, was so unsinnig auch wieder nicht scheint: Seit nunmehr zwölf Jahren widmet er Haut und Knochen dem Beruf als Kicker, und von jeher trachten Abwehrspieler danach, ihn zu „ramben“ (ist gleich: brutales, regelwidriges Zufallbringen, s.a.'RamboGentile'Pflügler; aus: Kleines Handlexikon des Fußballs).

Oft mit Erfolg, was Maradona unlängst dazu bewegte, Linderung bei den heiligen Wassern von Lourdes zu suchen. So gesehen war seine Vorstellung im Olympiastadion gleichsam ein Werbespot für die katholische Kirche. Selbst Klaus Augenthaler nämlich konnte am Mittwoch abend nicht anders als zuzugeben, die Aktivitäten Maradonas seien ein „kleines Wunder“. Das fiel ihm nicht leicht, dem Niederbayern, dessen Kriterien für guten Fußball sich lieber an vergossenem Schweiß, aufgekrempelten Ärmeln und zurückgelegten Kilometern orientieren. Und so glitt er vom Wunder denn auch schleunigst zurück ins Profane und bestätigte dem Argentinier: „Hundert Prozent mehr gelaufen als in Neapel.“

Sein Manager bewies da mehr Sinn fürs Filigrane: „Unterhaltung par excellence“, hatte Uli Hoeneß ausgemacht und dabei zeitweise „gedacht, ich bin im Circus Krone“. So sehr entzückt hätten ihn die Darbietungen, daß er mehrfach geneigt gewesen wäre, aufzuspringen und Szenenapplaus zu spenden. Der freilich hätte nicht den Münchnern gegolten, weshalb er letztlich unterblieb und der Freude Platz machte, „daß es solche Spieler noch gibt“.

Hoeneß‘ Plural bezog auch den Brasilianer Careca mit ein, den durchaus kongenialen Partner im offensiven Duo, nicht nur seiner zwei Tore wegen: Beim ersten (61.Minute) hatte Maradona per Rempler den völlig entnervten Nachtweih, der zuvor ein mächtiges Luftloch geschlagen hatte, den Ball endgültig entwendet, beim zweiten (80.) per Kurvenpaß den Weg zu Aumanns Gehäuse freigemacht. Der jeweils postwendende Ausgleich durch Flick und Reuter diente weniger der Spannung als der Unterhaltung des Publikums und zeigte eher die eigentlichen Mängel der Bayern auf: Beide Male trafen nicht die Stürmer, beide Tore gelangen eher zufällig.

Lediglich in der allerersten Viertelstunde keimte etwas Hoffnung, die Münchner könnten wie gegen Mailand einen Rückstand von zwei Toren aufholen, bei einer Fülle von Chancen, „wie wir sie nicht einmal gegen Bochum kriegen“ (Hoeneß). Doch der Ball ging nie dorthin , wo er sollte, ein Problem, das beim FC Bayern auch fürderhin keiner der Spieler sollte lösen können. Die Mannschaft erging sich bestenfalls in der Produktion von sogenanntem Druck, ohne daß Neapel größere Beklemmungen hätte verspüren müssen.

Derweil bewies die andere Seite, daß sich kunstvolle Artistik und Effizienz nicht auszuschließen brauchen, daß Bälle mit der Hacke ebenso präzise befördert werden können wie am Boden liegend gekickte. Und bisweilen beschrieben die von Maradona abgeschickten Lederkugeln Flugbahnen, die zu erfassen auch versierte Ballistiker des Bundeskriminalamtes ihre liebe Mühe hätten.

Weshalb auch Klaus Augenthaler sich nicht weiter grämen muß. Nächste Woche ist wieder Bundesliga, und da hat er es nicht mehr mit „Genies“ zu tun, die „nur schwer einzuschätzen sind“ (Hoeneß). Dann ist wieder alles prima geradlinig und leichter überschaubar.

MÜNCHEN: Aumann - Augenthaler - Nachtweih (79. Johnsen), Flick (67. Eckström), Pflügler - Reuter, Dorfner, Kögl, Eck

-Wegmann, Wohlfarth

NEAPEL: Giuliani - Renica - Ferrara, Corradini, Francini De Napoli (88. Carannante), Alemao, Maradona, Fusi, Crippa Careca