Das Schicksal der Lenin-Werft ist weiter ungewiß

Ende des Stillhalte-Abkommens in Danzig / Presse greift Industrieminister Wilczek an: Kostet der Konkurs mehr als die Weiterbetreibung?  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Noch im Januar hatten Arbeiterführer Lech Walesa und die Belegschaft der Danziger Lenin-Werft ein stillschweigendes Übereinkommen geschlossen: Die über die geplante Schließung der Werft empörten Arbeiter verzichteten für die Dauer der Gespräche am Runden Tisch auf handfeste Proteste.

Die Gespräche sind nunmehr beendet, doch eine Lösung für die Werft ist immer noch nicht in Sicht. Regierung und die Gewerkschaft Solidarnosc sind zwar übereingekommen, daß Innenminister und General Kiszczak eine außerordentliche Parlamentskommission zur Überprüfung des Schließungsbeschlusses beantragen soll, doch ist mehr als fraglich, ob diese Kommission in der Lage sein wird, die Stillegung abzuwenden. Für Industrieminister Wilczek gibt es jedenfalls kein Problem mehr, weil die Werft rechtlich am 1.Dezember zu existieren aufgehört hat.

Die Beschäftigten sind da allerdings anderer Meinung. In einer ersten Protestkundgebung erklärten sie bereits, die Proteste gegen die Schließung würden so lange anhalten, wie die Regierung den Beschluß nicht zurücknehme. Indessen haben auf dem Werftgelände bereits die ersten Arbeitsvermittlungsbüros für die künftigen Arbeitslosen ihre Arbeit aufgenommen. Eine gemeinsame Protestfront von Solidarnosc, den offiziellen Gewerkschaften OPZZ und der Werftdirektion sieht diesem Treiben eher mit Abneigung zu. Ihrer Ansicht nach schafft die Schließung der Werft mehr Probleme als sie löst.

Das behaupten inzwischen auch immer mehr polnische Zeitungen. Erst die Liquidierung habe jene Kreditprobleme geschaffen, die die Regierung nun als Argument für die Schließung anführe, kritisierte die unabhängige 'Gazeta Bankowa‘. Schließlich, so der Tenor der Kritik, sei die Regierung an jenem Zustand selbst schuld, den sie der Werft nun als Schließungsgrund vorwerfe. Wegen der völlig auseinanderklaffenden Wechselkurse des Zloty gegenüber dem Dollar und dem Rubel erhalte die Werft bei Fremdwährungs -Bestellungen aus der Sowjetunion nur ein Viertel des Betrages, den sie aus dem Westen bekommt - und selbst der sei noch zu niedrig.

„Die Regierung hat die Verträge mit den Reedereien ausgehandelt. Nicht die Werft hat bestimmt, daß übergebene Schiffe auf einmal und erst nach Übergabe zu bezahlen sind, während die westlichen Käufer an Polen nach jeder Fertigstellungsstufe Teilbeträge entrichten“, so die 'Gazeta Bankowa‘. Und Ryszard Bugaj, der als Berater der Solidarnosc am Runden Tisch saß, kritisierte in der 'Polityka‘ die Kreditvergabe an die Werft: Die Kredite ignorierten die Inflation, was bei dem werfttypischen langen Produktionszyklus zwangsläufig zur Unterfinanzierung führen müsse.

Ebenfalls im Parteiorgan 'Polityka‘ verteidigte Marian Tomal, Berater des für die Schließung verantwortlichen Industrieministers Wilczek, seinen Vorgesetzten: Wer, wie Bugaj, eine Einschränkung der unrentablen und umweltschädigenden Kohle- und Eisenerzeugung forderte, müsse bei den Verbrauchern anfangen. Die vier größten polnischen Werften, dies hätten Untersuchungen des Ministeriums ergeben, nutzten ihre Kapazitäten nur zu zwei Dritteln aus. „Wir standen vor der Frage, ob wir Schiffe oder Kühlschränke, Staubsauger und Waschmaschinen bauen sollten.“

Die Ansichten unter Experten in Polen über die Richtigkeit der Schließung sind durchaus geteilt. Auch Wirtschaftsjournalist Piotr Aeksandrowicz meint: „Natürlich hatte die Werft denkbar ungünstige, von ihr nicht verschuldete Rahmenbedingungen, vom Wechselkurssystem bis zur Frage der Materialpreise. Aber andere Exportbetriebe haben das auch und haben trotzdem bessere Ergebnisse erzielt.“ Zumal die Preise, die die Werft für Eisen und Stahl zahle, aufgrund der staatlichen Subventionen unter den Produktionskosten lagen. Der 'Przeglad Techniczny‘ (technische Rundschau) meint dagegen: „In Polen lohnt sich der Export von verarbeitetem Zink nicht, weil die Produkte hoch verzollt werden müssen. Dagegen ist der Export von Rohzink praktisch zollfrei.“ Während Polen also Rohstoffe auf dem Weltmarkt veschleudere, fehlten der einheimischen Industrie - etwa dem Schiffsbau - die Rohstoffe. „Unsere Flotte“, kommentiert die Zeitung das abenteuerliche Subventiontierungsgebahren, „liquidiert sich selbst.“

Unbestritten ist jedoch, wenigstens außerhalb des Industrieministeriums, daß die Entscheidung zur Auflösung der Leninwerft überhastet getroffen wurde und unüberlegt war. Die Schließung wird dadurch mehr kosten, als die Regierung bei der Weiterführung an Subventionen zu tragen gehabt hätte. Bis zum endgültigen Schlußtermin der Liquidierung 1990 ist die Werft noch vertraglich zur Übergabe von insgesamt 19 Schiffen verpflichtet. Statt möglicher Gewinne warten nun Konventionalstrafen in Höhe von 40 Milliarden Zloty auf die Werft, davon 7,2 Millionen Dollar an norwegische Reedereien, der Rest an einheimische und sowjetische.

Vier Konkurspläne hat Werftdirektor Tolwinski dem Industrieministerium bereits vorgelegt, kein einziger wurde akzeptiert. Vielleicht ist dennoch nicht aller Tage Abend für die Danziger Werft. Denn ganz gleich, zu welchem Ergebnis Industrieminister Wilczek schließlich kommen wird, die Werft hat innere Werte, die sich für Käufer attraktiv machen: die komplette Ausrüstung von den Docks bis zu den Materialvorräten für die ausstehenden 19 Schiffe. Bereits mehrere ausländische Interessenten, so heißt es in Danzig, hätten Interesse erkennen lassen, die Werft samt Belegschaft zu übernehmen. „Vielleicht kaufen die Engländer dann unsere Werft und bauen für harte Pfund Sterling auf polnischem Boden Schiffe für polnische Reedereien“, schlug eine polnische Zeitung vor. Tatsächlich waren die Bedingungen für einen künftigen ausländischen Investor günstiger, als diese bisher für die Werft waren. Ein ausländischer Investor müßte zum Beispiel statt 50 Prozent nur 30 Prozent seiner Deviseneinnahmen aus dem Export abgeben. Das zeigt, daß das letzte Wort über die Werft noch nicht gesprochen ist. „Die Werft ist beseitigt“, witzelt ein polnischer Journalist, „der Händel noch lange nicht.“