Aus deutscher Sicht wesensfremd

■ Phisophischer skt mit Kleiderordnung oder: Das Ende der ungebremsten Talfahrt

Politiker sind Philosophen, die diese Disziplin aus purer Not zur Leidenschaft entwickeln. „Lieber Karl, ... hinter dem Hauptwort Unternehmer steht das Tätigkeitswort unternehmen“, hörten gestern nachmittag an die dreihundert Ehrengäste eines Festaktes. „Gardarobe: Straßenanzug/Uniform“ lautete die Kleider- ordnung, die wenigen Damen unter den knapp 300 Gästen kamen auch nicht einfach so. Für die Fahrer sei ein „Aufenthaltsraum“ bereitgehalten, für Übernachtungswünsche sorge das Büro Rolf D. Voss, „die Reden sind vergeben“, stellte die Einladungskarte lapidar fest, um nachgeschobene Eitelkeiten und Ansprüche im Keime zu ersticken. Der da so tiefsinnig über das, was hinter Worten steht, philosophierte, war niemand geringeres als der Bremer Wirtschaftssenator Uwe Beckmeyer: „Wenn Firmen weiterhin darauf achten, daß die Zukunft nicht verschlafen wird, muß uns um diese Zukunft nicht bange sein.“

Diese Ausflüge ins Grundsätzliche mußte sich der Präsident der Bremer Bürgerschaft anhören, Dr. Dieter Klink, der bei der Vergabe der Reden übergangen worden war; er protestierte nicht, durfte er doch am „gesetzten Essen“ teilnehmen. Ganz in seiner Nähe saß der Feinste der Bremer Journalisten, Herr B., der bei Presseempfängen für hochrangige Gäste allergrößten Wert auf das Recht zur ersten Frage legt, die er selbstverständlich mit vollem Titel der Anrede in Form zu setzen pflegt, um sich dann zufrieden zurückzulehnen.

Und da saß der Staatssekretär aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Dr. Wolfgang von Geldern, der eigens aus Bonn angereist war, um Tiefsinniges über die Qualität beizusteuern: „Was ist Qualität? Qualität läßt sich nicht mehr rein objektiv erfassen, sondern beinhaltet in immer stärkerem Maße auch subjektive Komponenten.“ Von Geldern ließ aber das EuGH-Urteil vom 2.2.1989 in seiner Auswirkung auf den Rind-und Schweinefleisch-Markt letztlich unkommentiert - im Unterschied zu Dr. Jäger, dem Vizepräsidenten des Bundesgesundheitsamtes Berlin, der die nationale Note betonte: da seien „aus deutscher Sicht wesensfremde Zusätze“ erlaubt worden.

Es ging, wie man ahnt, um die deutsche Wurst. Damit sie uns noch mehr vakuumverpackt und in Scheiben geschnitten erreicht, hat die Wurstfirma Karl Könecke 40 Millionen investiert. In einer Tochterfirma werden in der Neustadt 20 Dauerarbeitsplätze und pro Tag 100.000 Frikadellen geschaffen. „Ich mache keineswegs in Optimismus“, verriet Beckmeyer sein persönliches sozialdemokratisches Credo, „wenn ich hier und heute klarstelle, daß diese Jahre der ungebremsten Talfahrt inzwischen der Vergangenheit angehören.“

Rosi Roland