Mit dem Kopf rausfliegen

■ „Wie-Deo Mediengruppe Bremen e.V.“ zeigt am Sonntag um 20 Uhr im Cafe Kairo, Reuterstraße, zwei Filme über „Normalen Strafvollzug“

„Normaler Strafvollzug“, das ist eine der Lösungen, die von Regierungsseite den hungerstreikenden RAF-Gefangenen gnädig angeboten wird, und schon das ist vielen Betonköpfen zu human, denen die Isolationshaft der RAF-Gefangenen entweder als einzig angemessener Rache-Vollzug erscheint, oder die fast schlimmer - leugnen, daß diesen Gefangenen in der Isolationshaft systematisch das Leben genommen wird.

Solche Betonköpfe werden nicht ins „Kairo“ gehen. Die Adressaten werden also wieder einmal diejenigen sein, die sowieso der Überzeugung sind, daß Haft in jedem Fall persönlichkeitszerstörend wirkt. Wenn einem aber von vornherein schon alles klar ist - welche Art Film will man dann sehen? Anders gefragt: Wenn man Filme macht für seinesgleichen - welche inhaltlichen und ästhetischen Kriterien legt man an die eigene Arbeit an? Will man Empörung provozieren, und dies mit künstlerischen Mitteln? Oder verzichtet man auf künstlerische Gestaltung, weil sie einem bei solchen Themen und dem Zielpublikum überflüssig, vielleicht sogar unangemessen scheint? Aber wer eine Kamera in die Hand nimmt, kommt nicht darum herum, das Filmmaterial zu strukturieren, daran zu arbeiten, den Inhalt in einer formalen Gestalt zu präsentieren. Und Video-Gruppen, auch wenn sie primär politische Arbeit machen, werden früher oder später ästhetischen Ehrgeiz entwickeln. Das merkt man den beiden Filmen „23 Stunden“ von einer Berliner Mediengruppe und „Die neue Kunst des Strafens“ von der Medienwerkstatt Freiburg an.

Im ersten Film erzählen Untersuchungsgefangene, die inzwischen, bis auf einen Verurteilten, alle entlassen worden sind, von „normalen“ Haftbedingungen, die einen vor Beklemmung beim Zuhören kaum atmen lassen. Monate-oder jahrelang im Ausnahmezustand, isoliert auch in der Untersuchungshaft, und einige erzählen vom Zusammenschluß in Gruppen, der zu nichts weiter geführt hat als zur effektiveren Überwachung.

Einer hat wie besessen Briefe nach draußen geschrieben, ein anderer hat gelesen, gelesen, gelesen, um „mit dem Kopf rauszufliegen aus dem Gefängnis“. Sie erzählen vom Radio in jeder Zelle, das den ganzen Tag über zum Wahnsinn treibt, vom „Gemeinschaftszwang“, von Drohungen des Gefängnispersonals, beim bloßen Quatschen mit anderen Häftlingen den Staatsanwalt zu benachrichtigen, damit die Strafe verlängert werde. Drogenabhängige kommen in den Hochsicherheitstrakt, wenn dort keine Terroristen inhaftiert sind, und wer beim Besuch - alle 14 Tage 30 Minuten - den Besucher an der Hand faßt, wird in die Zelle zurückgeschickt. Das alles in Untersuchungshaft, und manche sagen sogar, Strafhaft wäre erträglicher.

Die Wut, die einen beim Zuhören und Zusehen ankommt, provoziert dieser Film durch seine sehr zurückhaltende Präsentation. Vollständig kommentarlos, nur mit eingeblendeten Zwischentexten, werden die Zuschauer mit diesen Menschen konfrontiert, denen man die Zerstörungen ansehen und anhören kann. „Der Untersuchungsgefangene ist würdig, gerecht und menschlich zu behandeln“, heißt ein Gesetzesparagraph, der sich zwischen zwei Gesprächsszenen schiebt. Natürlich: Für die, die ins „Kairo“ kommen werden, ist das alles nicht neu, aber vielleicht zeigt dieser Film, wie man das manchen Bekannte so präsentieren kann, daß es auch denen, die nichts davon wissen wollen, das Augen -Zumachen erschwert. Das gelingt diesem Film ganz ohne bevormundenden Unterton, ohne Empörungs-Mätzchen und politisch-didaktischen Schmus. Man sollte den Film vor einem größeren Publikum zeigen.

Ganz anders der zweite Film von der Freiburger Medienwerkstatt: Ein schauderhafter Gestaltungswille tobt sich da aus, verkleistert einem die Augen und die Ohren. Diese Filmer haben den Titel „Die neue Kunst des Strafens“ programmatisch umgedeutet in eine „neue Kunst des Videofilmens“: Im Lauf von 20 Minuten soll dem Publikum das Grausen kommen über die Knastpraxis, Gefangene zwangsweise mit schwersten Psychopharmaka vollzupumpen und sie als Versuchskaninchen für unerprobte Medikamente zu mißbrauchen. Als wäre das nicht grauenhaft genug, sägen auf der Tonspur dissonante Violinenklänge, torkelt die Kamera durch Räume mit gefliesten Wänden, schreiten, von unten gefilmt, Ärzte und Schwestern mit Tabletts durch einen Flur - alles mordsschräg und dilettantisch Expressionismus imitierend. Der Effekt dieser aufdringlichen Politkunst-Raserei: Die drei Häftlinge, die da erzählen, wirken wie geltungssüchtige Wichtigtuer, weil sie von den Filmern in einen so lachhaft dramatisierten Rahmen eingebaut worden sind. So mißbrauchen die Autoren, in bester Absicht, mit ästhetischen Mitteln die schon mißbrauchten Häftlinge noch einmal.

Sybille Simon-Zülch