DAS PRAKTISCHE WELTBILD

■ Südafrikanisches 'Waiting for the Barbarians‘ im Ballhaus Naunynstraße

Die Geschichte ist so einfach wie bekannt: Ein weißer Mittelklassemann in gehobener Stellung (hier ein Richter) will seine Ruhe und den Job bedienen - „Ich will ein gutes Leben haben in diesem Land“. Doch die Zeiten sind nicht so. Denn in diesem Land Südafrika herrscht Krieg zwischen Schwarz und Weiß. In den wird er hineingerissen wider Willen - die unpolitische, sich nicht einmischen wollende Haltung wird zermalmt von der Politik, deren Teil er ist. Wie heißt es noch: Keine Entscheidung ist eine Entscheidung für das Bestehende.

Aber bis dahin reicht der Gedanke von „Waiting for the Barbarians“, das der weiße südafrikanische Regisseur Marc Colli nach dem Roman von J.M. Coetzee inszeniert hat, erst gar nicht. Denn dort bricht der Richter nicht an seiner Haltung, sondern macht aus ihr gar noch ein durch Erfahrung vertieftes Erklärungssystem. So verdoppelt sich das Unpolitische zur gemeingültigen Aussage, um auf der nächsthöheren Ebene im Bewußtsein aufzutauchen als das bekannte Lied vom ewigen Leiden der Menschheit. „All is pain“, proklamiert der Richter und formuliert damit die zentrale Aussage des Stückes. So sprechen Kulturpessimisten, wenn sie nicht im Stande sind, auf eine klare Frage eine klare Antwort zu geben.

Je dringender das ist, um so hochsymbolischer geht es zu, und Metaphern krachen auf den Theaterboden, Bühnenbilder wollen die Existenzfrage stellen - kurzum: hier ist „Kunst“ im Gange und kein politisches Theater. Und wenn, wie hier, die Schauspieler aus Südafrika kommen und Rassenkonflikte das Thema des Stückes sind, ist das ziemlich peinlich.

Einen Schwarzen hat man sich als Alibi-Neger engagiert, der, wenn er denn reden darf, nur über das ihm zugefügte Leid klagt. Ansonsten ist er eine prima Reflexionsfläche für den weißen Gemütszustand. Schwarze Kultur kommt nur vor in Form des unverdauten Zivilisationsschocks. Und selbst da sieht die Häuptlingsmaske aus wie hochgepäppelte Folklore, die auch aus Taiwan stammen könnte. Vollends unglaubwürdig ist der Richter, die Hauptperson, immerhin doch Teil des Repressionsapparates. Nie sah man ihn humaner - was vielleicht daran liegt, daß er aus dem Land der Sharpeville Six kommt. Dennoch ist das Stück - gänzlich unfreiwillig und auf einer anderen Ebene als beabsichtigt - realistisch. Denn was dramatisiert wird und in der Person des Richters seine Weihe erhalten soll, ist genau der Zustand, in dem sich die tolerante weiße Schicht befindet, aus der der Regisseur und

-mit Ausnahme des Schwarzen - die Schauspieler auch kommen. Zwischen Unterdrückung und dem Aufstand dagegen bastelt sie sich ein Weltbild zurecht, mit dem es sich entscheidungslos zwischen den Fronten leben läßt. Wenn der Geist willig, doch das Fleisch schwach ist, dann kann das immer noch mit einer Privatphilosophie durchdacht werden.

Nach dem Solidaritätsminstrel im Haus der Weltkulturen nun ein weißer Psychotango im Ballhaus Naunynstraße, der auch noch schlecht getanzt ist. Spendet Euer Eintrittsgeld lieber gleich dem ANC.

höttges

„Waiting for the Barbarians“ - Gastspiel aus Südafrika in englischer Sprache bis 30.4. täglich um 20 Uhr und am 22./23./29./30 April auch um 16 Uhr im Ballhaus Naunynstraße.