: Der Lohndrücker
■ Heiner Müllers Ost-Berlin-Inszenierung seines sozialistischen Klassikers
Ein Ringofen geht kaputt. 1948/49 in Berlin (DDR). Einer der Arbeiter bietet sich an, ihn bei laufender Produktion zu reparieren. Eine Geschichte aus der Produktion. Mit dem geschulten Politkommissar, dem die Arbeitshetze beschleunigenden Gewerkschafter, dem Direktor, den antifaschistischen und den faschistischen Arbeitern. Allen voran Lohndrücker Balke, der während der Nazijahre ein ebenso zuverlässiger Arbeiter war wie jetzt beim Aufbau des Sozialismus.
Müller schrieb das Stück 1956, aufgeführt wurde es 1958, geriet in die Schulbücher als Beispiel gelungener sozialistischer Dramatik. Jede Zeile mindestens ein Problem. Das entbehrt nicht der Komik. Noch komischer der Versuch, die Weltrevolution, das Pathos von der neuen Epoche der Menschheitsentwicklung unterzubringen in der Frage, ob dieser Ofen nun repariert werden soll, während er in Betrieb ist oder nicht. Der stalinistische Ehrgeiz, aus Sachfragen, technischen Problemen, wenn man so will, solche der richtigen Ideologie, des Klassenstandpunktes zu machen, hier bestimmt er die Dramaturgie eines Theaterstückes. Während es in Wahrheit sich so verhält, daß die großen Probleme nur portioniert als kleine, stückweise, sich lösen lassen, sitzt das Stück der stalinistischen Roßkur auf und propagiert, daß man die kleinen Probleme nur groß genug aufblasen muß, um sie zum Verschwinden zu bringen. Die Kannegießer als Weltrevolutionäre.
Müller wollte nichts davon wissen, diese unfreiwillige Komik seiner - und nicht nur seiner - frühen Jahre in der Inszenierung deutlich herauszupräparieren. Nein, komisch darf der Aufbau des Sozialismus nicht werden. Er hat darum das Spiel von Groß und Klein genau andersherum radikalisiert. Es gibt jetzt Einschübe aus den 'Horatiern‘, die diesen Kampf am Ringofen nicht nur als eine Etappe in der epochalen Auseinandersetzung Kapitalismus/Sozialismus erscheinen lassen, sondern ihm die Weihe eines ewigen Kampfes geben. 'La condition humaine‘ als Abenteuer gleich um die Ecke. Ein kleiner, alter Film vom Ätnaausbruch gibt dem Ganzen noch die Verlängerung in die Naturgeschichte. Wer sich nicht ganz einlullen läßt, wird die Geschichte dardurch eher noch komischer finden. So haben es Autor und Regisseur freilich nicht gemeint.
Dazu die forcierten Dialoge, die Heiner Müller seine Protagonisten sprechen läßt:
„Du hast die Politik gefressen, Sekretär. In Amerika gibt's keinen Sozialismus, aber Arbeiter, die im eigenen Auto fahren. Im Sozialismus gibt's Schuhe auf Bezugsschein. Erklär mir das.“
„Das Auto gehört dem Arbeiter. Aber wem gehören die Arbeiter? Unsere Schuhe gibts auf Bezugschein. Aber die Autofabriken gehören uns.“
Dergleichen läßt sich retten nur als Kasperletheater. Da müssen die Wortwechsel fliegen wie die Klatschen von Teufel und Kasperle. Immer lauter, immer schneller. Nichts davon in dieser Inszenierung. Jeder Satz ist so gemein(t), wie er dasteht. Unerträglich. Wahrscheinlich denkt Heiner Müller: genau so muß es sein.
A.W.
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