Fumetti-Abenteuer

■ Eine Reise durch Italiens Erwachsenencomicszene

Martin Frenzel

Bei der letzten Frankfurter Buchmesse blieben sie vom allgemeinen Italien-Rausch verschont: die anspruchsvollen, in Westeuropa neue Maßstäbe des Mediums setzenden „Fumetti“. Dabei hat kaum ein Land - mit Ausnahme des französischen Sprachbereichs - das Genre der modernen Erwachsenencomics so geprägt wie Italien. Die Zeiten dürftiger Sado-Maso -Massenzeichenware made in Italy („fumetti neri“) sind vorbei: Heute steht der begnadete „Erotomane“ Guido Crepax (45) längst nicht mehr allein. Bis dato liegt sein Verdienst darin, das Medium des grafischen Erzählens als Kunstform genutzt und weiterentwickelt zu haben. Und doch gilt Crepax hierzulande noch immer als „jugendgefährdend“ und „sittlich desorientierend“: Nahezu alle seiner erotischen Obsessionen wie Valentina, Hello Anita oder Die Geschichte der O. setzte die Bonner Bundesprüfstelle auf den Index. Dieser einzigartige Zensurskandal offenbart die ganze Rückständigkeit der Deutschen in Sachen Comic. Die Erwachsenencomics eines Guido Crepax dürfen in der BRD weder verkauft, gehandelt noch erworben werden. Statt dessen ergötzt sich die Nation an einer garantiert jugendfreien Supernase: dem bierseligen Blödelfriesen und Prolorocker Werner.

Wer sich freilich unter „guter Comic-Unterhaltung“ ein bißchen mehr vorstellen kann als das „Brummbrumm„- und Rülps -Niveau der Werner-Welle, hat die Qual der Wahl; mittlerweile sind auf dem bundesdeutschen Comicalben-Markt zahlreiche Titel der neuen europäischen Erwachsenencomic -Generation erschienen. Vor allem der Münchner Verlag Schreiber&Leser hat seit Anfang der achtziger Jahre viel getan, um gerade die italienischen Qualitätscomics bei uns bekannt zu machen. Wem Kowalski-Humor aus deutschen Landen zum Halse raushängt, dem seien die prallen Comic -Geschichten des Italieners Altan ans Herz gelegt. Aber Obacht: Altan statt Bösel - das ist so ähnlich wie Loriot statt Jürgen von der Lippe. Altan macht es seinen Lesern gewiß nicht leicht: Wer ihn goutieren will, muß sich bei seinen opulenten Comic-Romanen jeweils durch mehr als einhundert Seiten kämpfen. Aber diese Mühe lohnt. Denn den erwartet gleich im ersten Comic-Roman von Altan in deutscher Sprache ein großes „erotisch-exotisches Feuilleton“: Der 46jährige Comic-Karikaturist Francesco Tullio Altan gibt mit Ada im Dschungel die endgültige Antwort auf die Kolonialschnulze Out of Africa. Altans vollbusige Comic -Heldin Ada Frowz verschlägt es nämlich auch in eben diesen afrikanischen Dschungel. Ihr Reisemotiv ist nicht Abenteuerlust, sondern pure Geldgier. Sie sucht ihren verschollenen Cousin Percy und will ihn heiraten, um an seine vermuteten Elfenbein-Reichtümer zu kommen. Klar, daß die englische Lady dabei nicht nur ihre Illusionen, sondern auch ihre Unschuld verliert. Doch wo Geld ist, waltet der Neid: Adas Erzfeind, ihr hundsgemeiner Cousin Nancy, versucht der blutjungen Brünetten die Millionen abzujagen. Natürlich ohne Erfolg. Den krummnasigen Giftzwerg Nancy trifft somit per Steinwurf der Schlag. Am Ende dieser turbulenten Comic-Kolportage kann sich die wunderschöne Ada

-immerhin tobt zeitgleich der Zweite Weltkrieg - auf ein deutsches Sanitätsschiff retten und als Krankenschwester, die die deutsche Wehrmacht gnadenlos verrecken läßt, nach London entfliehen.

Eigentlich kommt Altan vom Film- und Fernsehgeschäft, momentan arbeitet er in Italien vor allem als politischer Karikaturist. Und er ist ein Meister des frech-frivolen Dialogs: „Bei Ihnen denke ich nur an Sex. Alles andere fände ich schändlich und gemein.“ Mit witzigen Zwischenkommentaren unter fast jeden Paneel zieht Altan die Sprechblasen seiner grotesk gezeichneten Akteure doppelt durch den Kakao. Ob beschränkte Nazi-Sturmtruppen, eine eingebildete spanische Zofe namens Carmen oder die sexgeile Leiterin eines Londoner Mädcheninternats, geschäftstüchtige Buschbewohner und „phallische Felsen“ mitten im Urwald - Altan macht aus solchen Klischees ein Feuerwerk amüsanter Comic -Unterhaltung. Kein Wunder, daß Ada im Dschungel - nach dem ersten Erscheinen in der italienischen Traditionszeitschrift 'Linus‘ - auch im französischen Sprachbereich ein voller Erfolg wurde. Das frankobelgische Renommierjournal 'A Suivre‘ druckte ab Juli 1980 alle dreizehn Episoden der Altanschen Dschungelklamotte.

Kaum minder skurril sind auch die Abenteuer des frühreifen, computergeilen Riesenbabies Zorro Bolero (genannt Dicker oder Hans-Werner). Zorro hat im Mailand des Jahres 2000 nichts anderes im Kopf als sein Textverarbeitungsprogramm am PC. Doch geht in dieser Horror-Picture-Show (wie immer bei Altan) alles drunter und drüber: Den Vater Klaus Bolero (Ex -68er, heute Sex-Shop-Betreiber) zieht's ins Fernsehshow -Geschäft. Er läßt sich eigens liften, die Altan-typische Rüsselnase aboperieren und wird dann von der TV-Mafia in Milano gekillt. Zorros Mama, die gelangweilte Sexbombe Asta, liebt ihren Zögling Zorro über alles („Du klebrige, stinkende, kleine Pest!“), gibt ihm täglich zu essen (Thunfisch und Kakao), und hält sich für eine verhinderte Operndiva der Scala. Klaro, Altan ist der Crescenzo der Comics. Philosophische Lebensweisheiten über die Mailänder und Italiener verknüpft er mit einer Chaos-Story ohne Ende: In zwölf Episoden dreht sich alles um Klein-Bolero, dem erst im Fahrstuhl die Jungfrau Maria erscheint und der hernach eine 17jährige Blondine schwängert.

Altan nimmt sie sich alle vor: den Papst, das verlogene „Wort zum Sonntag“ im Fernsehen, RAI (das staatliche italienische Fernsehen), blinde Drusen, bolivianische Travestiten, Yuppies und Studentinnen. Alles nach dem Motto: „Die Leute hören auf zu rauchen, zu bumsen und sich zu waschen. Das nennt man wohl Fortschritt.“ (Sex-Shop-Besitzer Klaus Bolero sinniert über den Zeitgeist.)

Daß der Mailänder Großstadtdschungel auch für deutsche Leser nachvollziehbar bleibt, dafür sorgt allemal die glänzende Eindeutschung des Münchner Verlags. Altans grafische Markenzeichen: schwarzweiße Licht- und Schattenstilistik, potthäßliche Nasen und der leicht einschläfernde, stoische Blick seiner komischen Gestalten. Vergeßt Brösel, lest Altan!

Die Italiener lieben krasse Stilwechsel im Comic. Anders als Altan bevorzugt der ehemalige Ingenieur Vittorio Giardino, Jahrgang 1946, die klare Linienführung. Seine grafische Eleganz überträgt sich auch auf seine dicht erzählten Geschichten. Giardino ist ein „Spätzünder“ im Comic-Geschäft: Erst Anfang der achtziger Jahre reüssierte der in Bologna geborene Künstler im raren Genre der Spionagecomics für Erwachsene. Minutiöse Dekors und Kulissen, Hitchcocksche Verfolgungsjagden über die Dächer der Stadt im Schatten der Nacht, mondän-schöne Frauen: Das ist die Welt des jüdischen Genfer Tabakhändlers und pensionierten Geheimagenten Max Friedman. Am Vorabend des deutschen Überfalls auf Polen (also kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges) wirbelt Giardinos Spionageheld durch die Straßen von Budapest. Sein Auftrag lautet herauszufinden, warum die Mitglieder des Agentenringes „Ungarische Rhapsodie“ reihenweise ihr Leben verlieren. Natürlich gerät der vollbärtige, pfeifenrauchende Charmeur Friedman pausenlos von einer lebensgefährlichen Situation in die nächste. Der zweite Teil des Max-Friedman-Zyklus Hetzjagd in Istanbul - ist voll von Anspielungen auf den Neoklassiker Casablanca: Max Friedman alias Humphrey Bogart hat denn auch eine stürmische Liebesaffäre mit der geheimnisvollen Blondine Magda. Und der gesuchte Ingenieur Dr.Stern, hinter dem nicht zuletzt Stalins Geheimdienst her ist, entpuppt sich selbstredend als ihr Ehemann. Kein Zweifel: Vittorio Giardino hat sich inzwischen zum John Le Carre des Spionagecomics gemausert (deutlich inspiriert von Edgar P.Jacobs Blake und Mardtimer-Geschichten für Jugendliche). Die Ungarische Rhapsodie erhielt auf dem Comic-Festival in Lucca den begehrten „Yellow Kid“ und in Belgien den „Prix St.Michel“. Eher müdes Mittelmaß erreicht dagegen Giardinos Privatdetektiv und Phil-Marlowe-Verschnitt Sam Pezo. Zu simpel ist die Handlung (Held wird permanent niedergeschlagen und treibt es mit seiner Auftraggeberin), zu eintönig die grafische Inszenierung. Stark war Giardino - außer bei Max Friedman - bisher nur in seinen Kurzgeschichten: Liebe und Eifersucht, Hinterhalt, Intrige und Attentat - das ist der Stoff, aus dem Goardino in warmen Faben seine stimmungsvollen Short stories hinzaubert.

Auf deutsch sind diese Stories wie Safari oder Feucht und heiß im leider wieder eingestellten Comic-Magazin 'Moxxito‘ erschienen. Zu den ganz Großen im Comic-Geschäft zählt der Künstler Milo Manara: Sein ewiger Antiheld Guiseppe Bergmann, dem Manara autobiographische Züge verlieh, ist permanent auf der Suche nach dem wahren, authentischen, eben dem Großen Abenteuer (wie der Titel der deutschen Erstausgabe lautet). Der junge Aussteiger läßt sich von einem Medienkonzern anheuern, um der Entfremdung des Alltags zu entgehen. Im zweiten Band des Bergmann-Zyklus dreht Manara das berühmte Stück des großen italienischen Dramatikers der Moderne, Luigi Pirandello, einfach um: „Ein Autor sucht sechs Personen“ - weil sich hier die Personen schlicht weigern, das Theater länger mitzumachen. Die Handlung spielt in Manaras Comic-Roman in Schwarzafrika, die Hauptrolle hat die stets leicht oder gar nicht bekleidete Amateur-Schauspielerin Lou-Lou. Stoff genug also, um eine sinnlich-ironische Atmosphäre aus Reggae, Rasta-Lyrik und Tango zu transportieren.

Auch in Tag des Zorns (dritter Band) sucht Manara die exotischen und erotischen Abgründe seiner Seele zu ergründen. Im bislang letzten, in deutscher Sprache vorliegenden Roman Ein Traum...vielleicht..., wandelt Manara auf Hermann Hesses Spuren: Guiseppe Bergmann als Siddhartha taucht ein in den Mystizismus indischer Kultur, während gleichezitig die Militärs einer Großmacht die Zündung einer Atombombe vorbereiten.

Am Ende steht ein Atompilz am Himmel: Wahrheit und Tod liegen nahe beieinander, scheint Manara seinen Lesern bedeuten zu wollen. Manaras naturalistische Schraffurtechnik, sein bewußtes Spiel mit den Möglichkeiten von Licht und Schatten, Traum und Wirklichkeit - und natürlich sein enormes Talent, schöne, sinnliche Frauen zu zeichnen, haben ihn im Nu zum Star innerhalb der europäischen Comicszene gemacht.

Der 43jährige Ex-Maoist und ehemalige 68er schaffte, was nur wenigen vor ihm gelang: die Gratwanderung zwischen anspruchsvoll-philosophischer Attitüde und voyeuristischer Pin-up-Unterhaltung. Nicht zu Unrecht wurde Manara so zum „Fellini der Comics“ ausgerufen. (Alle Guiseppe-Bergmann -Bücher sind im Verlag Schreiber&Leser erschienen.)

Sex pur präsentierte dagegen in den beiden in Frankreich zu Bestsellern avancierten Comic-Romanen Außer Kontrolle und Der Duft des Unsichtbaren. In Außer Kontrolle (deutsche Ausgabe ohne Verlagsangabe) geht es um einen Automaten, der die liebreizende Gattin eines schwerreichen Geschäftsmannes zu zügelloser Geilheit treibt. Was in Frankreich bei Kritik und Publikum gleichermaßen auf positive Resonanz stieß, steht bei uns selbstredend auf dem Zensur-Index der Bonner Bundesprüfstelle. Beide Manara -Bücher dürfen - ähnlich wie die Werke von Guido Crepax nicht mehr in der BRD verkauft werden.