Zustand: trist und kritisch

■ Abschlußtag des „überregionalen StudentInnen-Kongresses“: In Plastikmüll und Neonfinsternis redeten Männer von Strukturen / Selbstjustiz bei versuchter Vergewaltigung

Das Ambiente: Zigarettenasche auf Wurstpellen in Plastikschalen, eine Spendendose dazwischen, H-Milch, ein überbordender Tisch mit abgegessenen Resten eines Frühstücks ausgerechnet in der tristesten Ecke des GW2-Gebäudes der Bremer Universität, zwischen Keller und Treppenaufgang. Die Geräuschkulisse: eine anstrengende Komposition aus vereinzelten, aber laut schwatzenden StudentInnen in verschiedenen Ecken, das dröhnende Gegen-die-Wand-Ballern von Bällen, die irgendwelche Erwachsenen aus der Spielzeugkiste geholt hatten, ein Hund. Dazwischen - als gäbe es nicht auch helle Arbeitsräume mit richtigen Tischen und Stühlen - die TeilnehmerInnen des einwöchigen „Überregionalen StrudentInnen-Kongresses“ zu Austausch und Strategie-Debatte. Tatzeit: Abschlußveranstaltung, „Plenum“. Das bedeutet auf lateinisch „voll“. Einschließlich der OrganisatorInnen waren rund 30 Personen beiderlei Geschlechts anwesend - die Männer redeten. Und redeten: über die Notwendigkeit neuer Kommunikations

strukturen, neuer Wissenschaft, radikaler Kritik.

Gerade mal aus zwei Arbeitsgruppen ließen sich Diskussionen referieren: Die AG „Kritische Wissenschaft“ hatte „die Kritik der 'Frankfurter Schule'“ entdeckt, wollte den Wissenschaftsbegriff „konkret in Frage stellen“ und „Gegenentwürfe wagen“. Streitpunkt: Ob denn nur die Anwendung oder schon die reine Wissenschaft zu kritisieren sei? Zauberwort und Zungenbrecher war „Interdisziplinarität“ - sowohl von „der Wirtschaft“ als auch vom „amerikanischen Manegament“ gern gefordert, mußte sich der Referent noch sagen lassen. Inzwischen waren die paar aus der Gruppe „Kritische Uni“ weg; zwei zeitweilige Besucher wußten aber noch das „neue Konzept“: Mehr Basis-Arbeit machen, in kleinen Gruppen zu eigenen Themen diskutieren und Ergebnisse öffentlich machen.

Daß zur Hoch-Zeit des Streiks diese „Kritische Woche“ bundesweiter Debatte anders gedacht gewesen war als dieses spärlich-triste Treffen, wurde nur sehr mühsam ein Thema. Tenor: „Die“

anderen sind teilweise noch nicht so weit / haben starken Individualismus / haben es noch nicht begriffen / sehen den Rahmen nicht, der um sie ist / Schwierigkeit, die Leute auf ein Qualitätsniveau zu bringen. Höhepunkt ehrlich gemeinter selbstkritischer Analyse: Vielleicht sei man mit dem Niveau zu niedrig oder zu hoch gewesen, habe zu lange geredet - und überhaupt liege viel „an unserer Scheiß -Konsumgesellschaft“.

Beim Fest am Abend zuvor, so berichtete voller Verachtung ein Mann, sei es zu einer versuchten Vergewaltigung gekommen. Und nach wenigen Minuten hätten nur noch drei oder vier Leute Lust gehabt, „den Typ zu suchen“. Niemand hätte dann „was machen wollen“ mit dem: Auf eine Anzeige hätte die betroffene Frau verzichtet, und „dem eins reinzuhauen“, dazu sei er „zu besoffen“ gewesen. Statt Anzeige wird es jetzt einhelliger Beschluß - Selbstjustiz geben: ein Flugblatt mit Täterbeschreibung, vollem Namen und Adresse, „also so 'ne Ächtung, besser als 'ne Anzeige, besser, als auf diese Staatsgewalt zurückgreifen“. S.P