Die quälende Diskussion um eine Gedenkstätte

■ Interview mit Tilmann Fichter, einem der Initiatoren von „Perspektive Berlin e.V.“, die sich für die Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust auf dem Prinz-Albrecht-Gelände engagieren, zu den Auseinandersetzungen um die Form des Mahnmals

taz: Wenn ich eure Initiative zur Errichtung eines Mahnmals für die Millionen ermordeter Juden auf dem Gelände des Prinz-Albrecht-Palais richtig verstehe, dann geht es euch darum, endlich in dem Land der Täter und an dem Ort, von dem dieser Massenmord ausging, ein sichtbares Zeichen zu setzen. So weit - so einleuchtend. Was ich nicht verstehe, ist euer Widerstand dagegen, daß mit diesem Mahnmal auch anderer Opfer des NS-Terrors gedacht wird. Warum macht ihr einen Unterschied zwischen den Juden und anderen, die von den Nazis auf ähnliche Weise verfolgt und ermordet worden sind?

Tilmann Fichter: Weil die Ermordung der Juden ein Zivilisationsbruch in der deutschen Geschichte darstellt. Die Juden haben sich nach der französischen Revolution auf die Rechtsstaatgarantie der bürgerlichen Gesellschaft in Europa und besonders auch in Deutschland verlassen, haben sich mehr oder minder voll integriert und sind dann von den Nationalsozialisten ausgegrenzt, stigmatisiert und ermordet worden. Das deutsche Volk hat entweder weggeschaut oder mitgemacht, und dieser Skandal ist bis zum heutigen Tag in seiner ganzen Dimension in Deutschland verdrängt oder verniedlicht worden. Wenn jetzt - was ja besonders von den Parteikommunisten in der Vergangenheit oft gemacht wurde die verschiedenen Opfergruppen, also die Sozialdemokraten, Kommunisten, dann die katholischen Widerstandskämpfer, die konservativen Offiziere, die Juden, die Sinti und Roma, wenn die gemeinsam gewürdigt werden, dann wird die Tatsache überspielt, daß im Holocaust eine Gruppe nicht aus politischen Gründen ausgegrenzt und vernichtet wurde, wie die Sozialisten oder Kommunisten, sondern aus rassistischen Gründen. Und diese Dimension des Rassismus im deutschen Nationalsozialismus wird auch von links oft verniedlicht. Dieser antifaschistische Opferbegriff überspielt, daß es in Deutschland - im Gegensatz zum italienischen oder spanischen Faschismus diese rassistische tödliche Dimension gegeben hat, der über fünf Millionen Juden und auch über eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer gefallen sind.

Aber gerade da beginnt doch eine Auseinandersetzung zwischen der Initiative für dieses Mahnmal und den Roma und Sinti. Das ist völlig d'accord, das man in dem Maße, in dem man verallgemeinert, irgendwann bei Herrn Dregger landet und in seinen Opferbegriff den deutschen Soldaten mit einbezieht. Das ist natürlich Quatsch und darf auch nicht sein. Was ich aber nicht verstehe ist, warum die Roma und Sinti da nicht entsprechend berücksichtigt werden sollen. Sie sind in denselben Viehwaggons in die Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet worden. Sie wurden sogar nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mal in dem Maße als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wie beispielsweise die Juden. Warum grenzt ihr sie jetzt auch aus?

Die Roma und Sinti und die Juden in Europa verkörpern zwei unterschiedliche Kulturen. Ich habe vorhin erwähnt, daß die jüdische Kultur in Europa seit dem Mittelalter zu Hause ist und nach der französischen Revolution sich in die hiesige bürgerliche Gesellschaft integrierte. Die Roma und Sinti im soziologischen Sprachgebrauch - sind eher eine Randgruppe geblieben. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie heute für viele taz-Leser so sympathisch sind. Das einzige, was Roma und Sinti und die Juden gemeinsam haben, ist der deutsche Tod in Auschwitz und anderen Todeslagern zwischen 1940 und 1945. Wenn Juden und die Roma und Sinti selbst der Meinung sind, daß sie an einem Ort, an einem Mahnmal gemeinsam ihrer Toten gedenken sollen, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn unsere Initiative das entscheidet. Die Kinder der Mörder haben kein Recht, jetzt auch noch über die Opfer von damals nachträglich zu richten.

In Ordnung, damit verweist du auf einen möglichen Konflikt, den es zwischen der Jüdischen Gemeinde und den Roma und Sinti geben könnte. Andererseits war es nicht so, daß vor nicht allzu langer Zeit Yehudi Menhuin eine Gedenkmedaille - ich glaube, es war die Buber-Medaille bekam und in einer Rede dazu aufgefordert hat, die Roma und Sinti mit einzubeziehen in das Gedenken, und dafür auch sehr viel Beifall bekam.

Vorstellbar sind ja an einem Ort zwei Gedenkstätten. Ich halte diesen Konflikt für quälend. Ich finde übrigens, er wird auch von der taz ein wenig hochgespielt. Der wirkliche Skandal ist: 40 Jahre nach Ende des Krieges wird in allen Ländern Europas der ermordeten Juden gedacht, nur: im Land der Täter gibt es bis heute keine nationale Gedenkstätte. Dieser nicht notwendige Konflikt - ob ein Mahnmal für Sinti, Roma und Juden oder ob zwei Gedenkstätten am selben Ort -, der verharmlost das doch. Ich bin der Meinung, diese beiden Gedenkstätten müssen in einem ästhetischen Dialog zueinander stehen, d.h. sie müssen gemeinsam künstlerisch erdacht und umgesetzt werden. Aber wir Deutschen haben doch kein Recht, nun nachträglich noch einmal die Menschen, die wir in den Todeslagern gemeinsam vernichtet haben, in Form von einer Gedenkstätte zusammenzuzwingen. Das müssen die Opfer selbst machen - das haben sie bisher nicht getan - wir aber sollten die unterschiedlichen Kulturen respektieren.

Diese Diskussion ist in der Tat quälend. Mir leuchtet die Argumentation von Henryk Broder ein, mit dem ich vorhin zufällig am Telefon über die Auseinandersetzung sprach. Er sagte sinngemäß: Die Konzentrierung auf die Juden beim Gedenken ist ein großes Problem. Letztlich entsteht dadurch der Eindruck, es müsse immer wieder bewiesen werden, daß es den Holocaust gegeben hat. Das sei fatal. Er äußerte den Verdacht, deshalb würden diese Unterschiede gemacht werden zwischen Juden, Roma und Sinti, aber auch anderen, die in die Vernichtungslager verschleppt wurden.

Nach dieser furchtbaren geschichtlichen Periode gibt es keine richtige Antwort, insofern hat Broder recht, wenn er diese Frage stellt. Andererseits bestehe ich darauf, daß die Kinder der Mörder begreifen müssen, daß hier unterschiedliche Kulturen, die sich auf die Rechtsstaatgarantie der Deutschen verlassen haben, ausgegrenzt und ermordet wurden, das gilt für politische Kulturen der Arbeiterbewegung oder des politischen Katholizismus wie für die Juden und die Roma und Sinti. Es muß aber auch Schluß gemacht werden mit der Verharmlosung, durch einen Opferbegriff, in dem der deutsche Kommunist, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, der katholische Kaplan aus der Jugendbewegung mit den ermordeten Juden, Sinti und Roma gleichgesetzt wird. Durch diese Konstruktion wird die Dimension des Rassismus geleugnet.

Das haben vielleicht Parteikommunisten getan, aber in dieser aktuellen Diskussion doch niemand. Es hat sich auch niemand hingestellt und gesagt: Wir entscheiden - als Kinder der Täter -, wie dieses Mahnmal auszusehen hat. Es haben sich Leute hingestellt, z.B. der Vorsitzende der Roma und Sinti, und gesagt, das muß auch ein Mahnmal für uns sein.

Es können doch an einem Ort durchaus unterschiedliche ästhetische Lösungen gefunden werden. Ich warne aber davor, diesen populistischen antifaschistischen Opferbegriff, der alles umfaßt - bis hin zum Deserteur - auf diesem Gelände zu verwirklichen. Das ist der Kern dieser Auseinandersetzung. So wie ich die Aufarbeitung in der BRD und der DDR kenne, glaube ich jedoch, daß am Ende sich eine Mehrheit durchsetzen wird, die einem allgemeinen, undifferenzierten Opferbegriff das Wort redet. Weil das einfacher ist, aber das verkleistert diesen Zivilisationsbruch der Deutschen in Auschwitz.

Interview: mtm