Schöner wohnen im U-Bahn-Waggon

■ Drei Obdachlose besetzten Freitag nacht einen alten U-Bahn-Waggon am Paul-Lincke-Ufer / „Wohnmobil“ gehört der Ölberggemeinde / Aktion soll auf die desolate Situation der Berber aufmerksam machen

„Obdachlose besetzten leerstehenden U-Bahn-Waggon!“ - so ließe sich im Stil der Boulevardzeitungen vermarkten, was Freitag nacht drei Berber unternahmen, um sich ein Plätzchen im Trockenen zu beschaffen. Nicht jeoch die Linie 8 der BVG, die durchaus des öfteren Leerfahrten unternimmt, war Ziel der Männer auf der Suche nach einer Schlafstatt, sondern ein ausgedienter U-Bahn-Waggon auf dem Gelände der Kreuzberger Ölberggemeinde. Ehemals als Spielhaus von Kindern der anliegenden KiTa genutzt, fungiert der U-Bahn-Waggon, Marke Asbach-Uralt, am Paul-Lincke-Ufer nur noch als Abstellkammer von Pfarramt und KiTa. „So wat wie 'ne Besetzung war hier überhaupt nicht geplant“, erklärt Eberhard, Mitte fünfzig. Die starken Regenfälle in der vergangenen Woche hätten jedoch das Draußen-Schlafen unmöglich gemacht, und da sei ihnen der alte U-Bahn-Waggon eingefallen. „Ich habe erst vor einer Woche mit Pfarrer Machel von der Ölberggemeinde über den Wagen verhandelt“, erzählt Rainer, der zwar nicht zu den Besetzern gehört, sich aber als Obdachloser im frischgegründeten Kiezdach-Verein um die Wohnraumbeschaffung für seine Kumpel kümmert. „Mietvertrag gegen Restaurierung des Waggons, inklusive Hofbegrünung“, das sei sein Vorschlag dem Pfarrer gegenüber gewesen. „Die Gemeinde will aber den U -Bahn-Wagen verschwinden lassen, weil der zu baufällig sei“, erklärt Rainer, weshalb das Gespräch ergebnislos geblieben war. Pfarrer Michel bringt der jetzigen Besetzung des Gefährts jedoch durchaus Verständnis entgegen: „Natürlich ist das keine Lösung, daß die drei in dieser Bruchbude wohnen, aber andererseits zeigt das eben auch, wie groß die Not der Obdachlosen hier ist“, so der Chef der Ölbergemeinde.

Zeichen setzen, das ist es denn auch, was die drei Trebegänger wollen. „Det hier ist ja keene menschenwürdige Schlaftstatt, aber man könnte wat draus machen“, meint Klaus und erklärt sich zusammen mit seinen Kumpel bereit, den U -Bahn-Waggon wieder nutzbar zu machen. Den ganzen Samstag hätten sie damit verbracht, den rostverzierten Reichsbahn -Oldie zu entmüllen. „Die Kinder vom KiTa-Spielplatz haben sich drum gerissen mitzuhelfen“, so Waggonbewohner Eberhard. Auch von Initiativgruppen in der Nachbarschaft hätten sie Feldbetten und einen Gaskocher erhalten. Frischen Kaffee gibt's am Sonntag aus der „Wärmestube“ der Gemeinde, wo sich allwöchentlich Obdachlose in Cafeatmosphäre aufhalten können. „Was uns noch fehlt, sind Schlafsäcke. Die sind Freitag nacht am Görlitzer Bahnhof patschnaß geworden“, so Rainer vom Kiezdach-Verein. Um irgendwas betteln, das liege ihnen an sich überhaupt nicht. „Wir wollen hier autonom bleiben, ohne auf irgendwen angewiesen zu sein“, erklärt Eberhard beim U-Bahn-Kaffeeklatsch, während es draußen regnet.

Für die drei Männer ist ihr „Wohnmobil“ auf jeden Fall eine Verbesserung. Klaus: „Vorher ham wir halt auf Dachböden gepennt, einmal sogar im Stehen im Europa-Center“. Drei Monate hätten sie auch schon mal bei der griechisch -orthodoxen Kirchen im Gemeindesaal übernachtet. „Da durften wir abends gegen sieben Uhr rin, und morgens ganz früh wieder weg.“ Das sei im Winter eine große Hilfe gewesen. Auf die Dauer wünscht sich das Trio aber ein vernünftiges Dach überm Kopf, weshalb es seinen U-Bahn-Wagen auch mit den Plakaten der evangelischen Kirche zum Kirchentag im Juni verziert hat. Da steht zu lesen: „Im Stehen schläft man schlecht!“. Wie wahr!

cb