Ortega hofft auf Europa

■ Bush erneuert die Wirtschaftssanktionen gegen Nicaragua

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Verfügen die Sandinisten über irgendwelche bis dato unbekannten Geheimwaffen? Oder ist gar einem nicaraguanischen Chemiestudenten die kalte Kernfusion im Reagenzglas gelungen? Wir wissen es nicht. Jedenfalls hat US -Präsident George Bush am Wochenende auf eine „ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten“ hingewiesen, die von diesem durch Krieg, Handelsboykott, Kreditsperre und Hurrikan so arg gebeutelten Land ausgehe und die eben eine Erneuerung der Wirtschaftssanktionen erzwinge.

Es ist erst zwei Monate her, daß sich die Präsidenten der fünf mittelamerikanischen Länder darauf geeinigt haben, Nicaragua eine Chance zu geben. Honduras versprach, die Lager der Contras aufzulösen. Im Gegenzug kündigte Nicaragua auf drei Ebenen eine Demokratisierung an, wie sie in groben Zügen die westliche Welt - die CDU-Republik eingeschlossen immer wieder verlangt hatte. Und die Sandinisten haben ihre Versprechen eingelöst.

Zunächst ließ die Regierung in Managua die letzten 1.900 Angehörigen der Nationalgarde der 1979 gestürzten Diktatur frei. Immerhin eine Amnestie nach zehn Jahren für Personen, die nach Angaben des Roten Kreuzes zwischen September 1978 und Juli 1979 an die 10.000 Nicaraguaner ermordet haben. Amnestie, nicht Zusammenlegung.

Zweitens wurden die Präsidentschaftswahlen, wie von den USA und der einheimischen Opposition gefordert, vorgezogen. Oppositionelle Parteien werden durch keine Fünfprozentklausel behindert werden. Und so wird es im Parlament zu Managua auch in Zukunft ein breites Parteienspektrum geben.

Drittens nun das Mediengesetz. Private Fernsehsender, wie sie die Bundesrepublik seit wenigen Jahren kennt, wird es zwar in Nicaragua nicht geben. Doch wird eine Medienvielfalt gesetzlich abgesichert, die im mittelamerikanischen Kontext seinesgleichen sucht. Anders als etwa in Guatemala und El Salvador, wo die Oppositionspresse buchstäblich aus dem Land gebombt wurde, gibt es in Managua eine Tageszeitung, die zum Teil vom Ausland finanziert wird und täglich die Regierung mit Wahrheiten und Lügen - frontal angreift.

Doch aller Demokratisierung zum Trotz haben die USA vor einer Woche erst der Contra eine neue Hilfe, diesmal im Wert von 40 Millionen Dollar, zugebilligt. Und am Samstag nun die Erneuerung der Wirtschaftssanktionen - also alles wie gehabt. Bush wandelt auf den Pfaden seines Vorgängers, auch wenn die Konjunktur zur Zeit den militärischen Einsatz der Contra nicht erlaubt. Die Bundesrepublik hat dieser US -Politik bislang im großen und ganzen sekundiert; die Entwicklungshilfe an Nicaragua wurde 1982 eingestellt - mit dem Hinweis auf den Mangel an Demokratie, was die Bonner Demokraten im übrigen nicht hinderte, kurz danach die Hilfe für El Salvador wiederaufzunehmen.Ende Februar hat Jonny Klein, als er noch Entwicklungsminister war, die Wiederaufnahme der Hilfe an Nicaragua in Aussicht gestellt selbstredend unter der Bedingung einer „Demokratisierung“. Spätestens in zwei Wochen, wenn Nicaraguas Präsident Daniel Ortega in Bonn eintrifft, muß sich nun sein Vorgänger und Nachfolger Jürgen Warnke offenbaren. Man darf gespannt sein, wo der CSU-Mann in Nicaragua rechtzeitig noch demokratische Defizite ortet.

Nicaragua ist auf das westeuropäische Kapital angewiesen, nachdem die Sowjetunion deutlich gemacht hat, daß ihr - vom pekuniären Standpunkt aus betrachtet - ein Kuba mehr als genug ist. 250 Millionen Dollar will Ortega auf seiner Europa-Tour zusammenbringen, die er gestern mit einem Besuch bei Mitterrand begonnen hat. Wenn die Sowjetunion - wie schon im letzten Jahr - 300 Millionen beisteuert, würde dies zusammen gerade ausreichen, um das Handelsdefizit des vergangenen Jahres auszugleichen. Damit wäre zumindest eine Grundlage für eine Stabilisierung der Wirtschaftslage geschaffen - auf dem katastrophalen Niveau, auf dem sie sich nach der 38.000prozentigen Inflation des vergangenen Jahres befindet.

Wer die demokratischen Schritte Nicaraguas nun als Erfolg der wirtschaftlichen und militärischen Erpressung durch die Erste Welt feiert, sollte die Kehrseite dieser Strategie nicht vergessen: 40.000 Tote, Hunger, Armut und Elend. Der Verlust fundamentaler Menschenrechte aber, wie das Recht auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Sicherheit - ob nun verursacht durch einen Diktator im eigenen Land oder die Demokraten in fremden Ländern - relativiert immer die Bedeutung der politischen Bürgerrechte. Wie sich die sandinistische Revolution aber ohne Wirtschaftssanktionen und ohne CIA -Contra-Krieg entwickelt hätte, darüber kann man heute nur noch spekulieren. Wäre ein tropischer Stalinismus entstanden, ein zweites Kuba oder ein Staat, der aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Emanzipation für viele mittelamerikanische Nachbarn attraktiv geworden wäre? Dann allerdings hätte man wirklich von einer „ungewöhnlichen und außerordentlichen Bedrohung“ sprechen können - zwar nicht der Sicherheit der Vereinigten Staaten, aber immerhin ihrer Willkürherrschaft im Hinterhof.

Thomas Schmid