Henning Voscherau - Hamburgs Erster Bürgermeister - Zur Situation der Hafenstraße

MONTAGSINTERVIEW Von Axel Kintzinger

taz: In Ihrer Hafenstraßen-Erklärung heißt es: „Jeder weiß, das Projekt ist gescheitert.“ Was weiß denn der Erste Bürgermeister?

Voscherau: Seit meiner Nominierung durch die Hamburger SPD lautet meine Aussage:„Wenn friedlich, dann wohnen, wenn nicht, dann nicht.“ Diese Aussage ist nach beiden Seiten offen.

Das gilt noch heute?

Das gilt.

In den vergangenen Tagen hörte sich das anders an.

Kennen Sie das Gleichnis aus der Bibel mit dem Vater und dem verlorenen Sohn? Zugeschlagene Türen kann sich eine demokratische Gesellschaft nicht leisten. Ich bin allerdings der Meinung, daß die Bewohner in den letzten anderthalb Jahren ihrerseits die Türen immer wieder zugeschlagen haben. Wenn sie die morgen wieder öffnen wollen und endlich friedlich und gewaltfrei sind - um so besser für die Stadt.

Glauben Sie daran?

Ich bin kein Wahrsager.

Haben Sie jemals dem Projekt Hafenstraße eine ernste Chance gegeben?

Ich hatte, nachdem Dohnanyi den Vertrag durchgesetzt hatte, zumindest meine Hoffnung. Das war aber schon eine andere Aussage als zu behaupten, man sei zuversichtlich.

Wie vereinbaren Sie diese Hoffnung mit dem vollmundigen Versprechen an die Hamburger Wirtschaft, mit der Hafenstraße nicht in die nächste Wahl zu gehen - und das schon im vergangenen Herbst?

Auch diese Aussage bezieht sich auf „Wenn, dann - wenn nicht, dann nicht“. Die Friedenspflicht der Bewohner gilt spätestens seit November 1987 und ist seitdem nicht eingehalten worden. Menschenverachtende Gewaltanmaßung und Faustrecht sind schlichtweg inakzeptabel.

Lehnen Sie sich einmal zurück, lassen Sie die anderthalb Jahre Revue passieren: Welche Fehler hat die Politik gemacht?

Ich glaube nicht, daß man die Langmut der Stadt Hamburg und ihrer Bevölkerung, die Gewalt und Vertragsverletzungen hingenommen, ausgestanden, durchgehalten und erlitten hat, unter die Fragestellung einordnen kann, ob es Fehler gegeben hat. Natürlich gibt es immer Fehler, ob in Wirtschaft oder Politik.

Auch bei Henning Voscherau?

Mein wesentlichster Fehler war, daß ich unter Voranstellung sozialdemokratischer Disziplin und Loyalität zu Klaus von Dohnanyi zugesehen habe, wie dieser Vertrag durchgesetzt wurde - ohne zu diesem Zeitpunkt entsprechende Gegenleistungen der Bewohner festzuschreiben. Aus heutiger Sicht wäre es klüger gewesen, diesen Vertrag zu verhindern. Und, ohne Übertreibung: Der damals frisch zurückgetretene SPD-Fraktionsvorsitzende (Voscherau - d.Red.) hätte die Macht gehabt, das Vertragswerk zu torpedieren. Doch ich habe das unterlassen und mich statt dessen, in stummem Protest, auf die Hinterbank begeben und diszipliniert die Hand gehoben für den Kurs des Bürgermeisters - nein, nicht für den Kurs, für den Bürgermeister. Insofern trage ich Mitverantwortung an diesem Experiment und an den anderthalb Jahren.

Ahnten Sie denn damals nicht, daß sie das Problem bald selber am Hals haben würden?

Ich hatte keine Ahnung, daß Dohnanyi sich längst zum Rücktritt entschieden hatte. Im Gegenteil: Den Vertragsabschluß hatte er durchgesetzt, weil er in Vier -Augen-Gesprächen mit der Waffe seines sofortigen Rücktrittes gedroht hatte - und das wollte ich ja verhindern!

Als Sie bereits Bürgermeister waren, hat die Fraktion den Vertrag torpediert, sperrte vereinbarte Gelder. War das kein Fehler?

Ich habe immer erklärt, den Vertrag von unserer Seite aus einzuhalten - bei allen Schwierigkeiten innerhalb der Partei und der Fraktion.

Die SPD-Fraktion hat nachgekartet.

Nein, aber für den Verein Hafenstraße gelten dieselben Bedingungen für die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder wie für andere auch. Die Verzögerungen waren in unverständlicher Taktiererei des Hafenstraßenanwalts Blohm begründet.

Also doch wieder kein Fehler auf Seiten der Politik. Wie stehen Sie zu der massiven Polizeipräsenz am Hafenrand trägt die permanente Überwachung eines Wohnquartiers zu Beruhigung und Normalisierung bei?

Das unterstellt, daß die Perfektionierung des rechtsfreien Raums die Voraussetzung für den Erfolg des Wohnprojektes hätte sein sollen.

Observation rund um die Uhr, Fotografieren der Bewohner und ihrer Besucher in allen Situationen, verhindert man so den rechtsfreien Raum?

Die Quelle des Problems ist die ständige, jederzeit aggressive Bereitschaft eines großen Teils der Bewohner. Die Normalmieter in dieser Umgebung sind zu nicht unbeträchtlichen Teilen so eingeschüchtert, daß sie die inakzeptablen Lebensumstände, unter denen sie dort wohnen und arbeiten, nicht einmal mehr aussprechen mögen, daß sie auf Strafanzeigen verzichten - das ist die schleichende Terrorisierung des Alltags. Und gegen sowas hat man die Polizei. Das heißt: Rechtsfrieden als alltägliche Normalität - wenig Polizei; alltägliche Gewalt - viel Polizei. Die Bewohner entscheiden selbst über die Intensität der Einsätze. Und außerdem widerspreche ich der Einschätzung, da sei zu viel Polizei. Die überwiegende Mehrheit der Hamburger Bevölkerung meint: Da ist viel zu wenig Polizei!

Was sagen Sie zu der Kritik des Vereins Hafenstraße und auch seiner Senatsvertreter, der neue Bürgermeister lasse den Kontakt schleifen, unter Dohnanyi lief das besser?

Im Vordergrund meiner Amtspflicht steht die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Stärkung der Stadt in ihrer Beschäftigungskraft. Ich verhandele eben sehr viel intensiver um neue Arbeitsplätze in Hamburg als persönlich mit der Hafenstraße. Ich bin dagegen, die Hafenstraße zur Chefsache und zum bestimmenden Merkmal meines Terminkalenders zu machen.

Antithese: Das Hamburg-Image erleidet Schaden, wenn der Regierungschef die Hafenstraße mit markigen Worten nicht aus den Schlagzeilen läßt, ja sogar vom bewaffneten Kampf mitten in der Stadt spricht.

Der Kern des Problems ist die Realität, nicht, daß man sie zur Kenntnis nimmt.

Haben Sie die „Es ist genug„-Erklärung mit Ihrem Koalitionspartner abgesprochen?

Ich fasse meine Erklärungen selber ab, die sozialliberale Koalition kennt keine Vorzensur.

Wie nett. Ihr Stellvertreter, FDP-Senator Ingo von Münch, beschreibt das Koalitionsklima anders. „Was soll ich noch in diesem Senat“, klagte er jetzt öffentlich, fühlt sich permanent untergebuttert und sprach auch schon von „politischer Erpressung“.

Klappern gehört zum Handwerk, und jeder klappert auf die Weise, die ihm gemäß ist. Am besten tut man das mit Erfolgen.