Wirtschaftsboom im Katastrophengebiet

■ Die Aufräumarbeiten nach dem Tankerunfall vor der Küste Alaskas kommen nur schleppend voran / Exxons Ankündigung, 4.000 Personen zum Schrubben der Küste einstellen zu wollen, hat aber in Valdez die Wirtschaft zum Florieren gebracht

New York, Berlin (wps/afp/taz) - „Alle früheren Umweltkrisen waren regional. Jetzt aber erleben wir erstmals eine globale Umweltkrise.“ Vor Tausenden von Umweltschützern warnte Gentechnologiekritiker und Umweltpolitiker Jeremy Rifkin am Samstag in New York vor dem Treibhauseffekt, weltweiter Klimaerwärmung, dem Verschwinden der Ozonschicht und ökologischen Katastrophen wie dem Tanker-Unfall in Alaska. „Boykottiert Exxon“ forderten mehr als 3.000 Umweltschützer vor dem Hauptquartier des Öl-Multis Exxon. Weltweit fanden Aktionen zum 20. „Tag der Erde“ gegen die Ölpest in Alaska, die Zerstörung der Ozonschicht und viele andere vom Menschen verursachte Umweltschäden statt. Bei der Havarie der „Exxon Valdez“ am 24. März vor der Küste Alaskas waren rund 40.000 Tonnen Öl aus dem Supertanker ausgelaufen. Nach Angaben des Chefs der US-Küstenwache, Admiral Paul Yost, sind erst 13 Prozent des Öls vom Wasser entfernt worden. Diese Zahl wurde von den örtlichen Behörden als zu hoch eingeschätzt. Von den rund 4.000 Leuten, die Exxon zur Säuberung der ölverschmierten Strände einsetzen will, sind bisher erst 240 an der Arbeit. Allerdings helfen seit Donnerstag die Sowjets überaus erfolgreich mit ihrem Spezialschiff „Vahdaghubsky“, das pro Tag mehr als doppelt so viel Öl vom Wasser absaugen kann wie die US-Schiffe zusammen. Umweltschützer befürchten jedoch, daß trotz der bislang unternommenen Anstrengungen, der Sund zu einem klebrigen Grab für die in den nächsten Wochen erwarteten Millionen von Wandervögeln werden wird.

Die größte Ölpest in der Gechichte der USA hat auch ihre positiven Seiten. Nachdem ihre Fischfanggebiete geschlossen worden sind, beteiligen sich jetzt viele Fischer an den Aufräumarbeiten - im Dienst von Exxon. Ein lukrativer Job: Wer früher meist vergeblich Arbeit suchte, verdient jetzt 10.000 Dollar im Monat. Exxon zahlt jedem Mitglied der Reinigungsmannschaft 25 Dollar die Stunde. Exxon zahlt auch fürs Nichtstun. Sogenannte „Notarbeiter“, die bei Bedarf eingesetzt werden können, erhalten pro Wartestunde 16,69 Dollar. Ausgesorgt hat auch das Dienstleistungsgewerbe: Die Hotels sind bis zum letzten Bett mit Arbeitssuchenden belegt, die Kneipen brechend voll. Die Ankündigung des Unternehmens, es werde 4.000 Personen einstellen, um die betroffenen Küstengebiete vom Ölschlick zu befreien, hat jedoch nicht nur Freude ausgelöst. „Exxon versucht, die Bewohner zu kaufen.“ Bryan Moberly von der Umweltschutzbehörde für Alaska meint, die Firma verteilt Geld und Lebensmittel unter die Leute, „damit sie stillhalten“. Die Ölkatastrophe habe den gesamten Lebensstil der Bevölkerung verdorben. Wo früher hauptsächlich Fisch, Seehund- und Hirschfleisch gegessen wurden, stehen jetzt Schweinekoteletts und Büchsengemüse auf dem Speiseplan, dazu Fleischkonserven, wie sie US-Soldaten während des Zweiten Weltkriegs erhielten. Ihm hänge „der Fraß“ schon jetzt zum Halse heraus. Ob es jemals wieder so wird, wie es vor der Katastrophe war? Die Säuberungsaktion wird sich nach Angaben des Unternehmens bis Mitte September hinziehen. Naturschützer glauben aber, daß es viel länger dauern wird. „Mutter Natur wird sich wieder erholen - aber ich frage mich, ob wir dann noch da sind“, sinniert ein Bewohner der Ölhafenstadt Valdez. Fest steht, daß das Großreinemachen falls es überhaupt gelingt - keine Garantie für die Wiederankurbelung der örtlichen Wirtschaft darstellt. Alaskas Gouverneur Cowper beziffert die durch die Ölpest angerichteten Schäden in einem Brief an den US-Präsidenten auf 100 bis 200 Mio. Dollar. Langfristig gesehen, werden die Schäden sogar auf über 500 Mio. Dollar veranschlagt.

mf