Chinas Studenten fordern mehr Reformen

■ Die Trauerfeiern für den früheren KP-Chef Hu werden zu einer Demonstration für den Reformkurs

Die Konfrontationen von protestierenden Studenten und der Armee in Peking anläßlich der Trauerfeierlichkeiten lösten sich friedlich auf. Hunderttausend nahmen die offizielle Trauerfeier in Peking mit viertausend Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, unter ihnen Chinas graue Emminenz Deng Xiaoping, zum Anlaß, die Beibehaltung des Reformkurses zu fordern. Vor allem wirtschaftliche Schwierigkeiten veranlaßten Chinas Führung jüngst zur Kurskorrektur.

Die Pekinger Führung bemüht sich nach der Massenkundgebung anläßlich der Trauerfeier für den vor einer Woche verstorbenen liberalen Reformer Hu Yaobang, einen Keil zwischen Studenten und die Massen zu schieben. In geordneten Reihen haben Studenten die Fernsehübertragung der Trauerzeremonie in der zentralchinesischen Stadt Xian angeschaut, aber einige „Gesetzesbrecher“ hätten „regierungsfeindliche Parolen“ gerufen, differenzierte die die amtliche chinesische Nachrichtenagentur 'Xinhua‘ am Sonntag. In der rund tausend Kilometer südwestlich von Peking gelegenen Stadt kam es am Samstag nach den TV -übertragungen der Trauerfeierlichkeiten für den ehemaligen Parteichef Hu Yaobang zu Krawallen, meldete die Agentur. „Randalierer“ griffen dem Bericht zufolge Einrichtungen der Provinzregierung von Shaanxi an. Dabei seien auch Fahrzeuge und rund 20 Häuser in Brand gesteckt worden. Sie drangen laut 'Xinuha‘ in Büros der Provinzregierung und des Gerichtshofes ein, wo sie Feuer legten und Fenster einschlugen. Wie es weiter hieß, griff der „Mob“ auch einen Bus mit ausländischen Touristen an, als dieser am Samstag auf den Xincheng-Platz fuhr. „Sie bewarfen den Bus mit Steinen und schlugen die Scheiben ein“, schrieb die Agentur.

Auf dem Platz hatten sich Tausende versammelt, um die Trauerfeierlichkeiten auf dem Bildschirm zu verfolgen. Zu den Zusammenstößen sei es gekommen, als sich eine Gruppe von Demonstranten gewaltsam Zutritt zu den Regierungsgebäuden verschaffte. Alarmiert durch die Gewalt hätten die Studenten von verschiedenen Hochschulen und Universitäten den Platz verlassen. Die gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber der Provinzregierung und Brandanschläge konnte eine Bürgerin von Xian gegenüber dem britischen Sender BBC indessen nicht bestätigen, zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten sei es allerdings gekommen. Bewaffnete Polizisten riegelten schließlich den Platz ab.

Auch in Peking war der Platz des Himmlischen Friedens zu einer Sicherheitszone erklärt worden. Der geplante Sternmarsch von den Universitäten zum Tiananmen, wo am Samstag vormittag in der Halle des Volkes die offiziellen Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Ex -Generalsekretär Hu Yaobang stattfanden, wurde durch weiträumige Absperrungen der Polizei verhindert. Kleinere Demozüge wurden im Polizeikordon auf Umwege geleitet, zahlreiche Transparente beschlagnahmt. So konnten zunächst nur die 1.000 Studenten, die am Vortag eingetroffen waren, auf dem Platz demonstrieren. Bei der Direktübertragung der Trauerfeierlichkeiten mit rund 4.000 Persönlichkeiten und Chinas führendem Politiker Deng Xiaoping an der Spitze wurde eine der Hauptforderungen der Studenten nicht erfüllt: die Rehabilitierung Hu Yaobangs mit einer offenen Einschätzung seiner Fehler und Verdienste. KP-Chf Zhao Ziyang würdigte zwar die Verdienste seines Vorgängers, erwähnte jedoch Hu Yaobangs Sturz mit keinem Wort. Hu mußte 1987 nach den landesweiten Studentenprotesten wegen seiner angeblich zu liberalen Haltung aufgeben.

Als sich aber am Mittag nach Beendigung der Feierlichkeiten die Polizei zurückzog, versammelten sich innerhalb einer Stunde etwa 30.000 Menschen auf dem Tiananmen. Zeitweise schwoll die Menge auf mehr als 100.000 Menschen an, manche Schätzungen sprachen von 200.000 Demonstranten. Die Demonstranten sangen die Internationale und skandierten in Sprechchören „Demokratie und politische Reformen“, „nieder mit dem Bürokratismus“, „gegen Filz und Korruption“. Eine Delegation, die eine Petition mit den Forderungen der Studenten übergeben wollte, wurde von der Regierung nicht empfangen, dafür wurde aber das „Monument der Helden des Volkes“ auf dem Platz in eine „Wandzeitung der Demokratie“ verwandelt. Nachmittags zogen 10.000 Studenten durch die Innenstadt und brachten den Berufsverkehr für zwei Stunden zum Erliegen. Die Stadtbevölkerung brachte den Studenten großes Interesse und viel Sympathie entgegen, spendete gar für weitere Aktionen. Diese wurden für die nächsten Tage angekündigt und der Aufruf zum Uni-Streik bekräftigt. Auch in zahlreichen anderen Städten, darunter in Schanghai, Wuhan, Chengdu und Tianjin, demonstrierten friedlich Tausende von Studenten.

Thomas Reichenbach, Peking/(afp'dpa)