FAUX PAS MIT MARIVAUX

■ „Das Vermächtnis“ lastet schwer auf der Vagantenbühne

Als sei's im Memory-Spiel das zweite Kärtchen, so zwingend folgt auf den Namen Marivaux die Erinnerung an des Zeitgenossen Watteaus Rückenansicht im lachsfarbenen Satinkleid und an seine grazilen Figurenkonstellationen am Waldesrand bei der Einschiffung nach Kythera.

Reinhard Kuhnerts Inszenierung an der Vagantenbühne fehlen diese flirrenden Töne einer gleichzeitig hochartifiziellen wie spannungsvollen Ästhetik ganz. Die komplizierten rhetorischen Spiegelfechtereien der adeligen Spielfiguren in diesem theatre d'amour, die der Choreographie des Menuettanzes gleichen sollten, verkommen schon beim ersten Auftritt zur plumpen Erdverbundenheit einer oberbayerischen Volkstanzgruppe. Wo Marivauz seine Paare über das „Vermächtnis“ mit feingeschliffenen Waffen und langem Atem streiten läßt, hören wir in der Vagantenbühne einen geschrienen Ehestreit nach Art der Boulevardkomödie, dem nur noch ein patziges Türenknallen fehlt. Der Ton ist so qualvoll plump wie die ersten sechs Jahre Geigenunterricht für die Ohren des Zimmernachbarn.

Aus dem französischen Einakter, dessen Kennfarbe die höfische Eleganz ist, wird in der Vagantenbühne ein hölzernes Stück mit Aufforderungscharakter, dem Schillerschen „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“, pocht man hier auf „Heiraten Sie mich nun oder nicht?“ Kabale und Liebe - „Geld oder Leben!“

Dabei könnte man in der vorangegangenen, gelungenen Inszenierung von Koltes „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ unterm gleichen Dach Anhaltspunkte für das Zusammenspiel auf der Bühne und große Spannungsbögen finden. Zwar ist die Tonart in Moll gehalten, aber die rhetorischen Grundstrukturen des Umtänzelns ähneln sich und erfordern das feindosierte Spiel von Kupplung und Gas, Deckung und Angriff, Versteck und Offenbarung. Wie bei Koltes‘ Dealer und Kunde, so läßt auch Marivaux seine Liebenden endlos mit dem wörtlichen Geständnis ihrer Gefühle zögern.

Und das aus gutem Grund: Der schüchterne und wenig lebenserfahrene Marquis (Peter Kortenbach) erbt die nicht unbeträchtliche Summe von 200.000 Franc unter der Bedingung, daß er Hortense (Monica Bielenstein), eine ihm völlig gleichgültige Dame, heirate. Da diese wiederum in einem Chevalier (Andreas Bißmeier) verliebt ist, also dieser Heirat ebenfalls abgeneigt sein müßte, versucht unser unglücklicher Erbe, die ihm Verordnete durch einen, wie er hofft, vergeblichen Heiratsantrag aus der Reserve zu locken. Doch Hortense ist eine geborene Schauspielerin, sie blufft und nimmt an. Das nun drohende Eheunglück zu vermeiden gelingt schließlich der verwitweten und erfahrenen Comtesse (Evelyn Cron), als sie den ratlosen Marquis von ihrer Liebe überzeugen kann und ihn so zur Herausgabe der Summe an die entzückte Hortense und den Chevalier bewegt.

Dies alles spielt, wohl weil die Figuren mehr von den Regeln des Spiels bewegt werden, als nach eigenen zu agieren, auf einer schönen Bühne (Rainer Terweg), bestehend aus Schachbrettfußboden, gemalter Landschaftsarchitektur und Spiegeln, deren einziges Sitzmöbel eine lächerliche Schaukel ist. Auch die Kostüme (Barbara Keßler) helfen den Schauspielern wenig, den leichten Ton zu finden. Schon die unmotivierten Blautöne, bei einer Bediensteten gar abgetönte Neonfarben, und die Fächer der Damen, die niemals heiße Sommerluft bewegt haben, verwandeln die Darsteller auf der kleinen Vagantenbühne eher in sechs Pfauen im Freigehege als in den dekadenten Adel mit der sprichwörtlichen spielerischen Leichtigkeit des Rokoko.

Susanne Raubold