Das Ende der klassischen Verteidigung?

„Sicherheitsstaat und Strafverteidigung“ lautete das Motto des diesjährigen Strafverteidigertages am Wochenende in Köln / Debatte über Rolle der Strafverteidiger als „Informationsgehilfe“ für Strafverfolgung  ■  Aus Köln Ferdos Forudastan

„Wir hatten keine Ahnung, wie aktuell das Thema werden würde“, sagt Jürgen Crummenerl, Sprecher des Strafverteidigerausschusses in Köln. „Sicherheitsstaat und Strafverteidigung“ - vor fast genau einem Jahr beschlossen verschiedene Vereinigungen fortschrittlicher Strafverteidiger, den diesjährigen Strafverteidigertag unter dieses Motto zu stellen. Vergangenen Freitag begann der Kongreß in Köln. Wenige Stunden zuvor hatte der Bundestag das „Artikelgesetz zur inneren Sicherheit“ verabschiedet. In der kommenden Woche debattieren die Abgeordneten in erster Lesung über den geplanten Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz, das nach Ansicht von Datenschutzbeauftragten unzureichend ist. Und möglicherweise wird schon Ende diesen Jahres der Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetz ins Parlament eingebracht. Der erweitert die Befugnisse der Polizei im Rahmen der Strafprozeßordnung.

„Sicherheitsstaat“ führt in den Polizeistaat, und die Verteidigung im klassischen Sinne droht leerzulaufen. So knapp könnte man die Diskussionen der rund 400 Strafverteidiger an diesem Wochenende in Köln zusammenfassen. In der Tat: Daß die Mandanten, die sie vertreten, immer früher und immer nachhaltiger polizeilicher Kontrolle ausgesetzt sind, erschwert die Arbeit der Verteidiger erheblich.

Zum Beispiel der „Bonner Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafverfahrenrechts“. Er erweitert die Observationsmöglichkeiten der Polizei ganz beträchtlich und gegen die kann der Strafverteidiger die Betroffenen eben nur schwer schützen. Nach dem Entwurf kann die Polizei etwa auch Wohnungen Unverdächtiger abhören. V-Männer dürften in Zukunft gesetzlich abgesichert über ihre Identität täuschen. Ihr Einsatz müßte nicht mehr in den Akten auftauchen, was die Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit aushebeln würde.

Auch den Umgang mit Daten regelt der Entwurf in einer Weise, die die Rolle der Verteidiger massiv beeinträchtigt: Gemäß Paragraph 478 darf die Polizei personenbezogene Informationen, die sie im Verlauf eines Strafverfahrens erlangt hat, für präventiv-polizeiliche Zwecke verwerten. Das räumt ihr weitgehend Herrschaft über die Daten ein. Und es legitimiert, was das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Volkszählungsurteil vor sechs Jahren heftig gerügt hatte, die „Datenspeicherung auf Vorrat“. Das bedeutet für den Strafverteidiger konkret, daß Einlassungen der Mandanten, Zeugenaussagen, Beweisanträge, kurz, jedes Engagement im aktuellen Prozeßverlauf kann die Polizei mit Daten auf Vorrat über den Betroffenen füttern. „Wir sind nicht mehr nur Beistand des Beschuldigten, sondern auch und immer mehr Informationsgehilfe für die Strafverfolgung“, so faßte es der Anwalt Gerhard Strate zusammen.

„Die Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens“ lautete das Motto der Diskussion über den Entwurf. „Er stellt keine Verpolizeilichung, sondern eine Verpolizeirechtlichung dar“, konstatierte dagegen ein Teilnehmer unter Beifall. Schließlich legitimiert der Entwurf ein Verschieben von Daten, das heute schon gang und gäbe ist.

Ein Beispiel: Der 20jährige A. wurde vor fast drei Jahren von dem Verdacht freigesprochen, er habe auf ein Haus in Kempten atomfeindliche Parolen gesprüht. Vom bayerischen Landeskriminalamt forderte er daraufhin, dieses möge alle erkennungsdienstlichen Unterlagen über ihn vernichten. Die Behörde lehnte mit der Begründung ab, daß die gewonnenen Daten über das konkrete Stafverfahren hinaus aufbewahrt werden, um sie bei der Verfolgung zukünftiger Straftaten zu verwerten. A. bleibt also weiterhin wie ein Vorbestrafter registriert. Er bleibt trotz Freispruch ein Vorverdächtiger. Überdies können seine Daten an den Verfassungsschutz weitergegeben werden, oder sie fließen, über Interpol etwa, in andere Staaten.

Das bayerische Kriminalamt hat wie die Mehrheit der Verwaltungsgerichte in dieser Frage entschieden: Sie lehnen einen Anspruch auf Löschung der Daten ab, obwohl die Aufbewahrung zu lediglich polizeilich-präventiven Zwecken einer Rechtsgrundlage entbehrt. So ist es noch. Kommenden Freitag diskutiert der Bundestag den Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz. Im Ergebnis hängt dieser den Anspruch auf Auskunft über die Daten - und damit über die Löschung - am selben Zauberbegriff auf wie die Polizei: präventiv -polizeilicher Zweck. Dieser darf dem Verlangen nach Löschung nicht im Wege stehen. Das bedeudet für den Anwalt, daß die Strafverfolgung in ein Ermittlungsvorfeld verlagert wird, nämlich in den Bereich polizeilicher Gefahrenabwehr. Und was kann der Verteidiger dort schon verteidigen?

Jeder Betroffene muß benachrichtigt werden, wenn seine Daten aus dem Strafverfahren zu anderen Zwecken verwendet werden. Wird das Verfahren eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen, sind sie ausnahmslos zu löschen. Dies forderten die Strafverteidiger abschließend in Köln.