NUDELN IM WELTALL

■ Jacalyn Carleys Solotanz zu Worten von Raymond Federman und Ernst Jandl in der Tanzfabrik

Wenn das Wort eine Tänzerin ergreift, gibt es dann eine getanzte Sprechblase? Weit gefehlt, zumindest, wenn es sich um Worte des amerikanischen Schriftstellers Raymond Federman oder des österreichischen Lyrikers Ernst Jandl handelt.

Die Skepsis, die schon allein bei dem Gedanken zweifelsohne besteht, Wort und Tanz gemeinsam adäquat auf die Bühne bringen zu wollen, löst sich in der Tanzfabrik während der „Multiples“ in dem Moment auf, wenn die Sinnlosigkeit des arithmetischen Mittels der Rechnung, wie viel Nudeln mit Spagettisoße man unverdächtig im Supermarkt kaufen kann bei 365 Packungen für ein Jahr, wenn das Zimmer in dem man wohnt, acht Dollar kostet. Der Text von Raymond Federman fließt dahin, hält inne, setzt erneut ein zu einem weiteren Bedenken in Sachen Nudeln, wenn das Zimmer nur sieben Dollar kostete.

Natürlich sieht man Jacalyn Carley nicht Treppensteigen, wenn im Text von den verschiedenen Möglichkeiten die Rede ist, die 365 Pakete beim Kauf so zu teilen, daß man nicht für blöde gehalten und ausgerechnet wird, wie oft man denn bei soundso vielen Paketen den Weg ins soundso vielte Stockwerk klettern müsse.

Ihre Drehungen und Wendungen, ihr Schreiten und Gleiten hat mehr zu tun mit den Rhythmen, in denen sich diese wie auch andere kurze Erzählungen fortbewegen ohne daß der Tanz zum Kommentar wird. Es ist vielmehr eine eigenständige Choreographie, die immer wieder neu versucht, Ordnung auf den Spagetti-Teller dadurch zu bekommen, daß man einen neuen Blickwinkel sucht.

Diesen findet man zwar auch in den an die Wand geworfenen Dias, aber wenn sich auch hier ein Rhythmus in den Wiederholungen findet, ermüden diese doch schneller als man denken mag.

Von den Nudeln ist es nur ein kleiner Schritt in die Zukunft im Weltall, wie der englisch gesprochene Text von Raymond Federman im zweiten Teil des Abend beweist. Da ist er wieder, der lapidar vorgetragene Text aus der Erzählung „Die Nacht zum 21. Jahrhundert oder aus dem Leben eines alten Mannes“, ein Text, den man einfach in sich hineinschlürft, eine Zukunftsgeschichte aus der Gegenwart, in der nichts unmöglich erscheint bei all den inzwischen schon verwirklichten Utopien aus den vergangenen Jahrzehnten. Was hat der Mann für einen Witz, wenn er vom Mond beschreibt, was hier alles an „Kultur“ den Bach runter gegangen ist, als unser erster Mann im Mond jene bedeutenden Worte von dem kleinen Schritt sprach, was für eine Analyse der Menschheit...

Wenn im dritten Teil Jacalyn Carley zusammen mit Harald Pilar von Pilchau auf der einen Seite und den Texten von Ernst Jandl aus den Lyrikbänden „Laut und Luise“ und „Sprechblasen“ auf der anderen Seite zu einer choreographischen Einheit verschmelzen, dann ist das Ergebniseinerseits zurückzuführen auf die neue Erarbeitung der Fassung aus dem Jahre 1982, anderseits aber auch auf die inzwischen gewachsene Tradition im Umgang mit Text und Tanz, die die Schwerstarbeit so leicht und flüssig wie auch selbstverständlich erscheinen läßt.

Qpferdach

Der Abend mit den „Multiples“, „Federman reads Federman“ und „Jandl Gedichte“ am 29., 30. April und am 1. Mai jeweils um 20.30 Uhr in der Tanzfabrik, Möckernstr.68, 1-61, Eintritt 15,-DM