LANGMARSCHIERT BRINGT FRUCHT

■ „Mein Freund Rudi“, ein Wohltätigkeitsabend für alternde 68er mit Ortrud Beginnen

Wie es sich für die Altersfürsorge gehört, fand die Veranstaltung im nüchtern-feierlichen Rahmen, zu ebener Erde in der Kassenhalle der Volksbühne statt. Die alten KämpferInnen - schlicht-burschikos, leicht ergraut und dauergelockt - fanden sich zum geselligen Beisammensein vor dem Flügel ein, auf dem ein wissend klimpernder Herr Bodelschwingh alte und neue Weisen revolutionärer Liedkultur anstimmte. Zweck der ganzen Veranstaltung war, wie Ortrud Beginnen, Thermoskannentee trinkend, erläuterte, die Erlöse ihres sich zu Lebzeiten progressiv weiterentwickelten systemoppositionellen Gatten Klüterjahn mit den Eintrittsgeldern des Abends aufzustocken, um einen Altersruhesitz für 68er zu stiften, vielleicht als Anbau an das Deutsche Historische Museum oder als Entschädigung für die abgeschmetterte Akademie der Wissenschaften.

Frau Beginnen demonstrierte nicht nur leibhaftig ihre sexuelle Befreiung, wenn sie im hochgeschlossenen bodenlangen Kleid zu „Mothers Little Helper“ mit hochgereckter Faust und brüchiger Stimme lockerflockig ausflippte, dabei eckig mit Armen und Beinen moderne Beweglichkeit alter Bewegung vorführte und körperkulturelle Phantasie mit kreisenden Leibesübungen bewies. Was die politische Botschaft des Abends betrifft, konnte vor allem der „Märtyrerblock“ nach der Pause überzeugen, programmatisch eingeführt mit dem unvergessenen Biermanndramulett „Commandante Che Guevara“. Denn wenn bleibt, „was gut war und klar war, daß man bei dir immer durchsah“, so zog eine tiefe Wahrheit durch den Saal, wenn Duse Beginnen die Verse intonierte:Und bist kein Bonze geworden / Kein hohes Tier, das nach Geld schielt / Und vom Schreibtisch aus den Held spielt / In feiner Kluft mit alten Orden.

Zu Herzen ging auch die überraschende Vertonung von Mao/Enzensbergers „Beim Besteigen des Ching-kang-Berges“, bei der Frau Beginnen - wie auch in den romantischen Souplets von Suppe bis Eisler - mit stimmlicher Kühnheit und wagemutiger Differenz zur Begleitung - bei völliger Reimfreiheit - provozieren konnte, was auch nach 21 Jahren die kulturelle Avantgardestellung der Revolte hinsichtlich formaler Experimente bestätigt. Bemerkenswert auch die von Frau Beginnen wiederentdeckte Prosa und Lyrik der 68er, so ein außerordentlich humorvolles Gedicht über den politisch relevanten Begriff des „Hodens“ oder auch die Tagebuchaufzeichnungen der Künstlerin, die eine sehr frühe Begegnung mit Rudi (Dutschke) im Gemüseladen belegen, mit großen Folgen für die Karotten.

Aus ökologischen wie ökonomischen Gründen sollte man der zwar aus dem Theatertreffen ausgerahmten, aber in Berlins Festspielexporte eingespeisten Künstlerin und ihrem verdienten Mitstreiter Bodelschwingh viel Zulauf wünschen, da sie nicht nur geschichtliche Traditionen bewahren, sondern auch mit verantwortungsbewußter Ernsthaftigkeit ihren Beitrag zur gründlichen Durchrührung aller Betroffenen leisten. Es empfiehlt sich, bei einem Besuch neben den gewohnten Sitzkissen Herztabletten, Taschentücher und Tagebücher mitzunehmen, auch im Sinne einer vorsichtigen Behandlung hochgradiger Gedächtnisschwäche.

Dorothee Hackenberg

„Mein Freund Rudi“ von und mit Ortrud Beginnen am 26., 27. und 28. April um 20.30 Uhr in der Kassenhalle der Freien Volksbühne