Belastungszeuge: Polizist & V-Mann in Personalunion

■ Staatsanwaltschaft legt Anklageschrift wegen Unterstützung der „Amazonen“ vor / Brüchige Beweiskette gepaart mit dubiosen Geheimdienstpraktiken / Verfassungsschutz verstößt gegen Trennungsgebot zu Geheimdienst und läßt seine Agenten nicht aussagen

Was die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ hätte werden sollen, mußten die Berliner Ermittlungsbehörden nun zur Anklageerhebung in eine „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ herabstufen. Die Staatsanwaltschaft legte am Freitag vergangener Woche die Anklageschrift gegen die 29jährige Claudia Orlowsky und den 36jährigen Wolfgang Behling vor. Beide sollen die „Amazonen“ unterstützt haben - eine Gruppe, der mehrere Brandanschläge auf Filialen des Kleidungskonzerns „Adler“, auf Sexshops und auf im Sextourismius beteiligte Reisebüros zugerechnet werden. Claudia Orlowsky und Wolfgang Behling wurden gestern nach über vier Monaten Untersuchungshaft gegen Kaution und Meldeauflagen haftverschont.

Die Anklage gegen die gelernte Arzthelferin Orlowsky und den Bäcker Behling soll auf Antrag des Staatsanwalts bei der zweiten großen Strafkammer des Berliner Landgerichts zugelassen werden. Aber dürftig sind nicht nur die vorgelegten Indizien, höchst zweifelhaft ist auch die Rolle des einzigen Belastungszeugen: des Verfassungsschützers Eberhard Benzing - alias Eberhard Schuhmacher.

Über vier Jahre „ermittelte“ Benzing unter dem Namen Schuhmacher für den Verfassungsschutz (VS) in der linken Szene in Kreuzberg. In der Nacht der Festnahme, am 16. Dezember letzten Jahres, gab er nachts um 1.50 Uhr den Polizeibehörden zu Protokoll, die Tochter des Kreuzberger Baustadtrates Orlowsky hätte ihn im Februar gebeten, ihr einen Keller zur Verfügung zu stellen. Darin sollten „Sachen zum Zusammenbasteln“ untergestellt werden.

Im Gebäude seiner Wohnung - die im übrigen vom Verfassungsschutz finanziert wird mietete Benzing daraufhin einen Kellerraum. Wochen später stellte er fest, daß darin eine Kiste versteckt wurde. Er verständigte das Landesamt. Eine Videokamera wurde installiert, Claudia Orlowsky und Wolfgang Behling dann mehrmals beim Betreten gefilmt. Was in dem Keller vorging, blieb den Verfassungsschützern verborgen. Weil die beiden beim Betreten kleine Rucksäcke bei sich hatten, sollen sie diejenigen gewesen sein, die die Gegenstände in den Keller transportiert haben.

In der Nacht zum 6. Dezember, so Staatsanwalt Mehlis in der 13seitigen Anklageschrift, hätten entweder die Angeschuldigten selbst oder mit deren Einverständnis andere Personen den Inhalt der einen Kiste in drei kleinere Munitionskisten umgeladen. Nachdem Benzing dies bei einer Kontrolle festgestellt habe, seien die Kisten im Anschluß von drei Beamten des Verfassungsschutzes dem polizeilichen Staatsschutz übergeben worden. Als Inhalt seien elektronische Bauteile, Reisewecker, die als Zeitzünder verwendet werden könnten, und etwa 50 Gramm sprengfähiges „Selbstlaborat“ festgestellt worden. Brandsätze könnten damit gebaut werden, wie sie bei mehreren Anschlägen zwischen Februar und Dezember 1988 in Berlin verwendet worden seien und zu denen sich eine Gruppe namens „Amazonen“ bekannt habe, urteilten die Sachverständigen des Bundeskriminalamts. Über die Bekennerschreiben hinaus liegen den Ermittlern aber keinerlei Erkenntnisse über die „Amazonen“ vor.

In einer zweiten Aussage gab Verfassungsschützer Benzing am 4.Januar weiter an, die drei Kisten selbst in seine Wohnung geschafft zu haben. VS-Mitarbeiter hätten sie dort abgeholt, während er mit den Mitarbeitern des Szeneprojektes „Schwemme“ über die weitere Arbeit diskutierte.

Exekutive Handlungen wie das Beschlagnahmen oder Sicherstellen von Gegenständen sind den Geheimdiensten aber verboten. Sie sind ausschließlich den Polizeibehörden vorbehalten. Im Zuge seiner Ermittlungen bemerkte das auch Staatsanwalt Mehlis. Er beantragte daher beim VS die Vernehmung der beteiligten Beamten.

Dem Staatsanwalt wurde dann aber mitgeteilt, die betroffenen Beamten wären in einem „besonders sicherheitsempfindlichen operativen Bereich“ tätig. Betreffend ihrer Indentität und ihres Aussehens seien sie so „schutzbedürftig“, daß der VS sie als Zeugen zunächst nicht benennen könne. Als Zeuge bei Gericht käme ein Beamter allenfalls in Frage, wenn sichergestellt werde, daß er unter Ausschluß der Öffentlichkeit und auch nicht am Gerichtsort vernommen wird. Staatsanwalt Mehlis sah sich daher gezwungen, in seinen Akten einen Anonymus einzuführen. Für den späteren Prozeß - sollte die Anklage zugelassen werden nannte er als Beweismittel: „N.N., zu laden über den Senator des Inneren“.

Das Verhalten der Verfassungsschützer legt die Vermutung nahe, daß es sich bei diesen Beamten um Kollegen von Eberhard Benzig handelt. Benzing ist nicht nur Mitarbeiter des Berliner Landesamtes, er trägt auch den Titel eines Polizeihauptmeisters und wird in den Personalakten der Schutzpolizei geführt.

Unter Mißachtung des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Trennungsgebotes zwischen Geheimdiensten und Polizei soll es in Berlin mindestens vier weitere „Schuhmachers“ geben. Mit falschen Papieren und den notwendigen Legenden ausgestattet, sollen sie als Mitarbeiter einer Abteilung der „Mobilen Einsatzkommandos“ vor Jahren von der Kripo in die Kreuzberger Szene eingeschleust worden sein - eine Tätigkeit, die den juristischen Rahmen polizeilicher Überwachungsmöglichkeiten bei weitem sprengt. Um deren Spitzeleien zu legalisieren, sollen sie dann 1986 zum VS gewechselt haben. 1986 wurden beim VS auch fünf neue Stellen eingerichtet. Westdeutsche VSler sollten sich in Berlin bei zeitlich begrenzten Aufenthalten eine Legende für ihren Einsatz in Westdeutschland verschaffen.

Claudia Orlowsky und Wolfgang Behling sitzen seit dem 16. Dezember in Untersuchungshaft. Bereits am 21. Januar hatte selbst die AL eine Entlassung wegen der Ungereimtheiten gefordert. Zu den juristischen Fragwürdigkeiten stoßen auch die politischen. Nicht zuletzt hatte die Justizpressestelle ausdrücklich betont, der Hinweis auf den Keller sei vom VS gekommen. Das Ganze geschah nur wenige Wochen vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus. Das Image des VS hatte damals seinen Tiefstpunkt erreicht, und die Festnahme der Tochter des AL -nahen Baustadtrates Orlowsky ließ sich zudem im Wahlkampf bestens ausschlachten.

Wolfgang Gast