129a-Verfahren

Anklage wegen „RAF-Unterstützung“ / Kein einziger Straftatbestand gefunden Senat mußte Verfahrenseröffnung wegen Mitgliedschaft in der RAF ablehnen  ■  Aus Stammheim Hartmut Zeeb

Dem 5.Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts war gestern die Unsicherheit angesichts der mehr als dürftigen Beweislage im Verfahren gegen den 31jährigen Fernmeldetechniker Uli Winterhalter anzumerken. Der Senat hatte bereits das Ansinnen der Bundesanwälte, das Verfahren wegen Mitgliedschaft in der RAF zu eröffnen, abgelehnt. Die ärmlichen Indizien reichen bestenfalls für eine Anklage wegen „Unterstützung“.

Gegen Uli W. war einige Stunden nach einer im Rahmen der Polizeiaktionen im Zusammenhang mit der IWF-Kampagne am 9.September letzten Jahres erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung Haftbefehl erlassen worden. Begründung: Die bei ihm gefundenen 8 Fläschchen des verschreibungspflichtigen Injektionsästhetikums Ketanest seien für Aktionen der RAF bereitgehalten worden. Außerdem habe er eine archivartige Sammlung von Zeitungsausschnitten und Flugblättern angelegt und sei verdächtig, im Auftrag der RAF Depots angelegt und potentielle Anschlagsziele ausgespäht zu haben. Eine konkrete Straftat wird ihm nicht vorgeworfen.

Wie die beiden Verteidiger betonen, gibt es kein einziges Indiz dafür, daß Uli Winterhalter jemals unmittelbaren Kontakt zur RAF gehabt hat. Beweise für die Unterstellung, das Ketanest sei für die RAF besorgt worden, fehlen ebenso. Dagegen spricht, daß zum Zeitpunkt der Beschlagnahmung von verschiedenen Organisationen Medikamente für die Verletzten des palästinensisch-israelischen Konflikts gesammelt worden waren. Das sogenannte Archiv hat aus Materialien bestanden, wie sie jeder x-beliebigen Person zugänglich sind. Die Vermutung, Uli W. habe Depots angelegt, basiert auf der Beobachtung eines gemeinsamen Waldspaziergangs mit einer Frau, deren Fahrzeug in der „beobachtenden Fortsetzung auf Seite 2

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Fahndung“ gespeichert ist. Der Besitz einer Wanderkarte, auf der Pershing-Abschußstellen markiert sind, soll als Indiz für die Spähertätigkeit gelten.

Weitere „Belastungen“, die ebenfalls allesamt nicht den Tatbestand strafbarer Handlungen erfüllen: Briefe an den wegen RAF-Mitgliedschaft inhaftierten Ernst Volker Straub und die Besuche in der JVA Stadelheim, die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen zum Tode von Günter Sare und zum §129a StGB.

Wie wenig die erhobenen Vorwürfe letztlich hergeben, läßt sich auch am Verhalten des OLG erkennen: Für

Uli W., der sich dem Hungerstreik der RAF-Häftlinge nicht angeschlossen hat, obwohl auch er die Zusammenlegung unterstützt, wurde mit Verfügung vom 16.Februar die Totalisolierung aufgehoben.

Das Verfahren kann nach Ansicht der Verteidiger nur im Rahmen einer projektierten Ausweitung des 129a auf den gesamten sogenannten antiimperialistischen Widerstand begriffen werden. Über die politische Identität des Angeklagten wird ein faktisch nicht vorhandener Kontakt zur RAF konstruiert.

Zukünftig könnte sich, so Verteidiger Jansen, also jeder strafbar machen, der sich mit Inhalten (links)radikaler Politik beschäftigt und Dinge besitzt, die „Terroristen“ nützlich sein könnten. Die Haupt

verhandlung wird an neun weiteren Terminen bis zum 30.Mai fortgesetzt.