Lehrer streikmüde, GEW-Chef amtsmüde

■ Bremer Vorsitzender der Lehrergewerkschaft tritt zurück und vermißt „Geschlossenheit für Kampf gegen Tarifbetrug des Senats“ / Kampfabstimmung der GEW-Delegierten gegen erneuten Streikaufruf

Der Bremer Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Rainer Baltschun, ist am Dienstag zurückgetreten. Damit präsentierte er den LehrerInnen die Quittung für ihre Streikmüdigkeit. „Es gibt in der GEW keine Geschlossenheit mehr für einen konsequenten Kampf gegen den 80prozentigen Tarifbetrug des Senats“, begründete Baltschun gegenüber der taz seinen Rücktritt. Die Beratungen

der Landesdelegiertenver sammlung, des höchsten Bremer GEW-Gremiums, am Montag und Dienstag seien „der Einstieg zum Ausstieg aus dem Tarifkonflikt“ gewesen.

Tatsächlich haben sich die GEW-Delegierten am Dienstag in einer Kampfabstimmung vom Streik verabschiedet, um ihre Forderung nach einer Stunde Arbeitszeitverkürzung und Einstellung von 200 arbeitslosen Kolle

gInnen gegenüber dem Senat durchzusetzen. Mit 37 gegen 34 Stimmen riefen sie die GEW-Mitglieder lediglich auf, „bis hin zum Streik“ aktiv zu werden. Damit war Baltschuns Position, „für den Streik“ aufzurufen, vom Tisch. Er wollte für einen zweitägige Arbeitsniederlegung noch vor der Juni -Sitzung der Bürgerschaft mobilisieren. Dann will der Senat das neue Arbeitszeit-Gesetz für Bremer LehrerInnen beschließen

lassen, in dem die GEW einen „80prozentigen Tarifbetrug“ sieht.

Baltschuns Gegenspielerin auf der Landesdelegiertenversammlung war seine Vorgängerin im Amt, Helga Ziegert. Sie hatte ihrem Nachfolger vorgeworfen, er habe die GEW zu einseitig auf den Tarifkonflikt ausgerichtet und damit die allgemeine Bildungspolitik vernachlässigt. habe. Hinter dieser Kritik verbirgt sich auch die Meinung vieler LehrerInnen, daß die GEW sich in erster Linie um die Situation am Arbeitsplatz Schule zu kümmern habe. Im Tarifkonflikt habe sie sich dagegen ausschließlich an den Interessen der arbeitslosen LehrerInnen orientiert.

Trotz des offensichtlichen Konflikts um die Gewerkschafts -Linie löste Baltschuns Rücktritt unter seinen KollegInnen großes Unverständnis aus. Er habe eine politische Kritik persönlich genommen, wird vermutet. Der GEW-Führung war auch mangelnde Sparsamkeit vorgeworfen worden. Baltschun war der erste Bremer GEW-Chef, den die Gewerkschaft mit einer 1/4 -Stelle

bezahlte. Doch Baltschun bestreitet persönliche Gekränktheit. Er will jedoch die zaghafte GEW-Politik „in der Öffentlichkeit nicht mehr vertreten müssen.“ „Ich hoffe, daß ich meiner Gewerkschaft damit keinen Schaden zugefügt habe“, ergänzte er.

Einen erneuten Streik der LehrerInnen muß der Senat nun angesichts der führerlosen GEW nicht mehr befürchten. Schon direkt nach dem eintägigen LehrerInnen-Streik vom 23. Februar war auch der Bremerhavener GEW-Vorsitzende Rolf Endlich zurückgetreten - allerdings aus entgegengesetztem Grund. Er hatte selber den Streikaufruf seiner Gewerkschaft nicht befolgt und war ordentlich zum Unterricht erschienen.

Sein Problem: Kurz zuvor hatte er sich für den Posten eines Schulleiters beworben und hielt es deshalb für opportun, trotz seines Streikaufrufs Dienst zu tun. Nach heftigem Protest der KollegInnen hat er nicht nur den GEW-Vorsitz niedergelegt, sondern auch seine Bewerbung um den Schulleiter-Posten wieder zurückgezogen.

Dirk Asendorpf