Kurt Rebmann auf Freigang in Tübingen

Der Generalbundesanwalt zu Gast bei der Straffälligenhilfe Baden-Württemberg: Einen Tag lang leben ohne kugelsicheres Glas, Beton, Stacheldraht, Videokameras und schußbereite Bodyguards / „Ich habe noch keinen Tag bereut, dieses Amt übernommen zu haben“  ■  Aus Tübingen Joachim Zepelin

Kurt Rebmann, so urteilt der Hildesheimer Amtsrichter Ulrich Vultejus über den Generalbundesanwalt, bekam „lebenslänglich ohne Gnade“. Der oberste Ankläger der Republik lebe hinter schußsicherem Glas, Beton, Stacheldraht, Videokameras und schußbereiten Polizeibeamten. So gesehen war Rebmanns Auftritt in der schwäbischen Studenten-Metropole Tübingen fast ein Ausflug in die Freiheit. Denn in Tübingen überwachte die Polizei seit dem frühen Montag morgen „lediglich“ alle Stadteingänge und Kreuzungen; im katholischen Gemeindezentrum in der Bachgasse, Zielort des Hochsicherheitskonvois, bewegte sich der 64jährige betont locker, plauderte hier und da und stand Journalisten in bester Laune eine halbe Stunde lang gelassen Rede und Antwort - auch zum Hungerstreik der Gefangenen der „Roten -Armee-Fraktion“ (RAF) und anderer militanter Gruppen.

Anlaß für Rebmanns Reise an den Neckar war die Mitgliederversammlung der Straffälligenhilfe Baden -Württemberg. Der Generalbundesanwalt ist ihr Vorsitzender. Im katholischen Gemeindezentrum wurde der Protagonist der „harten Linie“ im aktuellen Hungerstreik erstmals persönlicher Zeuge einer Demonstration gegen ihn und seine Amtsführung. Während eines Gesprächs mit Journalisten in einem Nebenzimmer waren die Sprechchöre von etwa dreißig Demonstranten, die sich mit den Zielen des Hungerstreiks der inhaftierten Mitglieder der RAF solidarisierten, nicht zu überhören. Zunächst schlug der oberste Ankläger noch vor, man solle „die doch etwas wegdrücken“. Doch dann verzichtete er darauf. Das seien keine Straftäter: „Das sind Studenten, die schießen auch nicht.“ Draußen vor der Tür erinnerten die Demonstranten daran, daß Rebmann während der Schleyer -Entführung 1977 die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert, seine „Vernichtungswünsche“ gegen die Gefangenen also bereits damals dokumentiert habe. Die Ausdehnung von Strafverfahren gegen immer mehr politische Gruppen bewege darüber hinaus den „Vernichtungswillen der Bundesanwaltschaft gegen radikale linke Politik“.

Die Mitgliederversammlung der baden-württembergischen Straffälligenhilfe brachte Rebmann selbst auf das Thema, das ihm wie sonst nichts am Herzen zu liegen scheint. Mit dem Dank an Justizminister Heinz Eyrich für dessen Engagement bei der Wiedereingliederung von Straffälligen verband er die Bemerkung, daß er Eyrichs „klare Haltung zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen“ voll und ganz teile. Der Justizminister, in dessen Gefängnissen die bundesweit schärfsten Haftbedingungen herrschen, hatte kürzlich seine Position auf den Punkt gebracht: „Verhungern lassen!“

Daß die SPD-regierten Länder eine Zusammenlegung in kleinen Gruppen befürworten, daß sich die FDP-Spitze diesem Kompromiß-Vorschlag aus dem Bundesjustizministerium angeschlossen hat und daß selbst der Verfassungsschutz eine Zusammenlegung ins Gespräch brachte, läßt Rebmann - kaum überraschend - kalt: „Ich bin gegen eine Zusammenlegung“, bekennt er und fügt hinzu: „Für diese Haltung brauche ich im Grunde keine Unterstützung.“ Rebmann, auf dessen Initiative die Sonderbehandlung der Gefangenen aus der RAF unter anderem zurückgeht, hält insbesondere nichts von der These des Verfassungsschutzes, die Haftbedingungen förderten die Rekrutierung des terroristischen Nachwuchses. Wie könnte er auch, denn dann würde auch der Vorwurf gelten, der Generalbundesanwalt selbst sei mit seiner harten Linie nicht unwesentlich am Fortbestand der RAF beteiligt. Wie eng zumindest aber die gedankliche Verquickung von Verfolger und Verfolgten ist, demonstrierte Rebmann an einem Brückenschlag zum Hungerstreik zum rückläufigen Vertrauen in die Arbeit der Straffälligenhilfe.

Aber, und das hat man so noch nie von Rebmann gehört, die gesetzliche Grundlage der „inneren Sicherheit“ in der Bundesrepublik scheint ihm nun ausreichend. Nach den sogenannten Anti-Terrorgesetzen, den Sicherheitsgesetzen, der Ausdehnung des Paragraphen 129a auf immer mehr Felder, wie die Gentechnologie oder der Sextourismus und schließlich nach der in der vergangenen Woche im Bundestag beschlossenen Kronzeugenregelung und dem Vermummungsverbot ist es der oberste Ankläger vorerst zufrieden. Jetzt ist seiner Ansicht nach „Europa“ am Zuge. Durch den EG-Binnenmarkt „haben die Terroristen demnächst ein europaweites Aktionsfeld“. Darauf müsse man sich mit der Europa-Polizei einstellen. Einen praktischen Auftrag hat Rebmann auch schon parat: Man sollte die Fahndungsbilder „vom Nordkap bis Sizilien, von Portugal bis zum Eisernen Vorhang aufhängen“. Denn wenn das Konterfei der Staatsfeinde überall zu sehen sei, dann, so hofft Rebmann, nehme die Anschlagstätigkeit wie von selbst ab.

So abgebrüht der Mann auch scheint, die Motive der ersten Generation der RAF sind ihm nicht völlig fremd. „Die sind sicher angetreten, um diese Gesellschaft zu verändern, die jetzigen wollen aber nur noch Unruhe fabrizieren.“ Was da an Unruhe gestiftet wurde, spult Rebmann wohl zum tausendsten Mal herunter. Er kennt jeden Anschlag, weiß jedes Datum. Das erste, das er nennt, ist der 7. April 1977. An diesem Tag wurde sein Vorgänger Siegfried Buback erschossen. Danach „bedurfte es offensichtlich langer Suche, in Rebmann einen geeigneten Nachfolger zu finden“, mutmaßt das „Munzinger„ -Archiv, das einschlägige „Who's who“ für Zeitungsredaktionen. Tatsächlich ist Rebmanns Amtsfähigkeit umstritten. Einerseits ist sein übermäßiger Alkoholkonsum inzwischen ein öffentliches Thema, andererseits trägt seine Amtsführung zwanghafte Züge. Erst vor wenigen Tagen attestierte der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi dem Generalbundesanwalt auf einer Veranstaltung in Tübingen psychische Schäden nach zwölf Jahren unter enormem Drucks und empfahl: „Der Mann braucht eine Therapie!“

Der Mann selbst ist aber keineswegs amtsmüde: „Ich habe noch keinen Tag bereut, dieses Amt übernommen zu haben.“ Allerdings zögert Rebmann ein wenig auf die Frage, ob er sich über die Verlängerung seines Vertrages um ein Jahr gefreut hat. Dann kommt die eher taktische Antwort: „Es wäre in der gegenwärtigen Situation des Hungerstreiks nicht richtig gewesen, den Generalbundesanwalt zu wechseln.“

Seine Nachbarn in Stuttgart werden das anders sehen. Sie sind wegen der vielen Polizei im Wohnquartier schon öfter auf die Barrikaden gegangen. Rebmann stört das nicht: „Ich führe ein normales Leben unter Bewachung.“