Der Traum vom breiten Bündnis

■ Das Bündnis zur Unterstützung der Hungerstreik-Demonstration am Samstag in Bonn ist zerbrochen

Der Traum, für die Demonstration ein Bündnis von Unterstützer-Gruppen der RAF-Gefangenen bis hinein in die „liberale Öffentlichkeit“ zustande zu bringen, war rasch ausgeträumt. Nachdem Vertreter des „Osterappells“ als Redner unerwünscht waren, bröckelte die Front. Wenn auch noch immer rund 100 Gruppen aufrufen, so haben sich doch Vertreter der „liberalen Öffentlichkeit“ zurückgezogen: Das Komitee für Demokratie und Grundrechte, die Jusos und gestern noch die Humanistische Union.

Es ist das Einfache, das schwer zu machen ist: Ein Bündnis, das Menschenrechte für RAF-Häftlinge fordert. Die Querelen im Vorfeld der Bonner Hungerstreik-Demonstration machen eines leicht vergessen: Daß vor drei Monaten, zu Beginn des Hungerstreiks, kaum jemand überhaupt an die Chance eines derartigen Projekts geglaubt hätte. Für die bloße Vorstellung, „Antiimpis“ und Humanistische Union könnten „Arm in Arm“ in Bonn für Zusammenlegung auf die Straße gehen, wäre man ausgelacht worden. Wenn diese Chance jetzt nicht genutzt wird, ist das bitter: vor allem für die Gefangenen. Denn daß die Öffentlichkeit diesmal größer, die Solidarität breiter ist, das lag zum wesentlichen Teil an ihnen.

Mit der Kombination von Konsequenz und Flexibilität, wie sie von den Gefangenen signalisiert wurde, tun sich die Unterstützer der Zusammenlegungsforderung „draußen“ hingegen schwer. Die einen wollen radikaler sein als die Gefangenen selbst, die anderen wollen sie partout bekehren. Aus dem Gewirr von notwendigen und aufgebauschten Widersprüchen kann hier nur einiges herausgefischt werden, mit dem Bekenntnis vorab: Alles verkürzt und nicht objektiv.

Es ist jedem unbenommen, sich von einer Zusammenlegung der Gefangenen Folgewirkungen zu versprechen, die ins eigene gesellschaftspolitische Konzept passen. Die Varianten unterscheiden sich im Grad ihrer Wahrscheinlichkeit und in ihrer Erwünschtheit nach herrschenden Maßstäben. Das Spektrum dürfte etwa von „eine bessere RAF“ bis „RAF kaputt“ reichen. Zwischen diesen Visionen ist ein Bündnis schwerlich möglich.

Von Beginn an war klar, daß ein Konsens im Demonstrationsbündnis nur an der Forderung nach menschenwürdigen Haftbedingungen herzustellen ist: eben Zusammenlegung. Dies als „Politik heraushalten“ zu charakterisieren, greift zu kurz: Im Stammheim-Staat ist es eminent politisch, Menschenrechte für RAF-Gefangene zu fordern.

Allerdings darf diese Forderung nicht an Bedingungen geknüpft sein, sonst verliert das Wort Menschenrechte seinen Sinn. Damit tun sich aber vor allem die Grünen schwer, auch jener Teil der Partei, der mit Mühen an dem Demo-Aufruf festhält. Denn abgrenzen will man sich von den linksradikalen Unterstützern ja doch. Der Bundesvorstand nimmt in seiner jüngsten Stellungnahme argumentative Zuflucht zu den Stammtischen: Die Abwehr gegen eine Verbesserung der Haftbedingungen bei „einem Großteil der Bevölkerung“ werde sich „kaum überwinden“ lassen, wenn nicht gleichzeitig „Türen aus der Sackgasse des Terrorismus“ geöffnet würden. Die Logik ist nicht bestechend: An den Stammtischen wird man sich andere Türen vorstellen und vermutlich auch eine Abwehr gegen die Grünen haben. Hier führte eher Legitimationsdruck die Feder. Denn der Scheck „Mit Dialog den Terrorismus beenden“ ist ungedeckt; damit kann die Zusammenlegung nicht erkauft werden, ohne am Ende möglicherweise als Betrüger dazustehen. Die Überinterpretation mancher Gefangenen-Äußerungen in den letzten Monaten - so gutmeinend diese Interpretationen gewesen sein mögen - rächt sich jetzt: Wirklich vorbehaltlos bessere Haftbedingungen zu fordern, fällt nach wie vor schwer. Derartige Erklärungen zu verabschieden ist eine Sache; gemeinsam zur Aktion zu schreiten, bringt erst die Widersprüche zum Tanzen.

Legitimationsdruck auch auf der anderen Seite: Die Initiatoren der Demonstration machten zunächst die Unterstützung der „Originalforderungen“ der Hungerstreikenden zur Meßlatte, hängten noch den Forderungskatalog aus dem Frauenknast Plötzensee dran, obwohl der Punkt „Keine Urinkontrollprogramme“ doch etwas erläuterungsbedürftig scheint. Zwar gab es von Beginn an die Bereitschaft, jemanden aus dem liberalen Spektrum reden zu lassen. Daß es hingegen keiner der Unterzeichner des sogenannten Osterappells sein sollte, ist nur psychologisch zu begründen: Jürgen Seiffert abzulehnen, aber Wolf-Dieter Narr zu begrüßen, läßt darauf schließen, daß deren jeweilige Positionen kaum bekannt sind: Für Jüngere aus der Unterstützer-Szene waren das ohnehin Namen aus einer anderen Welt, die da gehandelt wurden. Von den Hungerstreikenden selbst kam der Rat, in der Redner-Frage flexibel zu sein. Auch politisch erfahrenere Aktivisten aus Hamburger und Berliner Zusammenhängen waren nicht von diesen Berührungsängsten geplagt.

Zwar ist der Demo-Aufruf mittlerweile von rund 100 Gruppen unterzeichnet worden - das Spektrum jenseits der Liberal -Humanitären umfaßt also nicht etwa nur ein paar RAF-Sympis und abgetakelte Fundis, wie es der 'Spiegel‘ glauben machen will. Doch mangelte es offenkundig an einer durchsetzungs und bündnisfähigen linken Position, die zwischen antiimperialistischer Blindheit und humanistischer Pikiertheit hätte vermitteln können. Gestern zog sich auch die Humanistische Union aus dem Bündnis zurück, die Luft wurde ihr zu dünn.

Der Vorwurf, die engere Hungerstreik-Szene hätte ein instrumentelles Verhältnis zu den „humanistischen Köppen“, ist berechtigt. Aber was sagt dieser Vorwurf aus? Neu ist bei diesem Hungerstreik gerade, daß die politischen Verbündeten der Gefangenen eingesehen haben, daß nur durch die humanitär begründete Breite des Protest politischer Druck entfaltet werden kann. Sich „auf diesem anderen Terrain“, wie es die Gefangenen ausdrückten, zu bewegen, verlangt allerdings mehr als den abstrakten Wunsch nach einem Bündnis. Es hieße vor allem: Die Paranoia überwinden, von den „Liberalen“ überrollt zu werden. Warum sich der Republikanische Anwaltsverein nicht von der Demo zurückzog, begründete ihr Vorsitzender Wolfgang Wieland so: „Wir sind als Anwälte besonders dicht an der Problematik der Gefangenen dran. Darum ist unsere Toleranzschwelle ziemlich ausgeprägt.“ Diese Haltung hätte allen gut zu Gesicht gestanden, gerade denen, die die Lage der Gefangenen am besten kennen.

Es geht nicht darum, jetzt Noten zu verteilen. Doch manche machten sich den Abgang leicht: Die Jungsozialisten zum Beispiel. Spannend wäre gewesen, von ihnen zu hören, wie die Bonner Demonstration Druck auf die Sozialdemokratie ausüben kann, ihr Mini-Angebot zu erweitern. Auch die angeblich unerfüllten Forderungen, mit denen die grüne Bundestagsfraktion ihren Ausstieg begründete, sind zumindest im Grundsatz erfüllt: Es gibt Redner aus dem demokratischen Spektrum, es gibt Absprachen über den friedlichen Charakter der Demonstration, und die Grünen sind in der Demo-Leitung vertreten. Das anspruchsvolle Ziel, in Bonn das gesamte Gewicht derer in die Waagschale zu werfen, die in den vergangenen drei Monaten für die Zusammenlegung eingetreten sind, wurde trotzdem nicht erreicht. Das Einfache, das schwer zu machen ist: Hat ernsthaft jemand geglaubt, es wäre leicht?

Charlotte Wiedemann