Cheney glaubt nicht an Gorbatschow

■ Vor dem Streitkräfteausschuß sagt der US-Rüstungsminister Gorbatschows Reformpolitik das Scheitern voraus / Kurzstreckenraketen will er auf keinen Fall abrüsten / Thatcher springt ein und will Kohl die Leviten lesen

Washington / Berlin (ap / dpa / taz) Da Gorbatschows Reformpolitik mit „großer Wahrscheinlichkeit“ scheitern wird, darf die Nato nach Ansicht des US-Rüstungsministers Richard Cheney ihre militärische Stärke in Europa nicht verringern. Vor dem Streitkräfteausschuß des Repräsentantenhauses sagte Cheney am Dienstag, Gorbatschow könne möglicherweise dazu gezwungen werden, seinen Kurs zu ändern oder sein Amt niederzulegen. Sein Nachfolger könne eine ganz andere Politik betreiben. Deshalb, so Cheney, sei es ein Fehler, die atomaren Kurzstreckenraketen und die Atomartillerie zu verringern, solange die Sowjetunion in Europa einen Vorteil bei konventionellen Waffen halte.

Damit erteilte er der Bundesregierung eine Abfuhr, die baldige West-Ost-Verhandlungen über einen Abbau der Kurzstreckenraketen gefordert hatte. Bundesaußenminister Genscher und Rüstungsminister Stoltenberg waren am Montag zu einem Blitzbesuch nach Washington gereist, um die Bonner Position zu erläutern. Cheney bezeichnete die vorgeschlagenen Verhandlungen als eine „gefährliche Falle“. Auch in einer Zeit, die „Möglichkeiten für den Abbau von Spannungen und der Vereinbarung bedeutsamer Waffenreduzierungen“ bietet, sei die Politik der Stärke sicherster Garant gegen einen Angriff.

Unterstützung erhielt Cheney von der „Eisernen Lady“, die ihr Treffen mit Kohl am Sonntag im pfälzischen Deidesheim dazu nutzen will, der deutschen Öffentlichkeit die Leviten zu lesen. Einen Vorgeschmack dessen, was die britische Premierministerin über TV verbraten wird, gibt eine Debatte im Unterhaus. Labour-Chef Neil Kinnock hatte Thatcher gefragt: „Wenn zwei Drittel der Bevölkerung Westdeutschlands gegen die Modernisierung der Kurzstreckenwaffen sind, hat dann die deutsche Regierung nicht recht, wenn sie in deren Sinn handelt?“ Die Antwort: „Atomare Kurzstreckenwaffen sind Teil der Nato-Strategie. Die kann nicht von einem Land allein bestimmt werden.“ Auf den Bonner Vorschlag angesprochen, mit der UdSSR über die Kurzstreckenwaffen zu verhandeln, sagte sie: „Die Nato hat eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung der Freiheit in Deutschland gespielt, die mit dem Tag des Endes des Zweiten Weltkrieges begonnen hat. Ich glaube nicht, daß die deutsche Regierung die Nato aufs Spiel setzen will.“

Einen Tag vor der Regierungserklärung in Bonn, mit der die deutsche Haltung bekräftigt werden soll, signalisierten die Regierungen von Dänemark, Norwegen, Belgien, Griechenland, Italien und Spanien die Bereitschaft, die Bonner Position zu unterstützen. Frankreich toleriert die Position Bonns, solange die eigenen Kurzstreckenraketen ausgespart werden.

In Bonn wurde am Mittwoch das Interesse der Bundesregierung betont, einen Ausweg aus den Meinungsverschiedenheiten mit den USA zu finden. Die erste deutsche Forderung nach Aufschub der Entscheidung über die Modernisierung bis 1992 scheine keine Schwierigkeiten mehr zu bereiten. Die zweite Forderung nach „baldigen Verhandlungen“ über eine Verringerung der umstrittenen Raketen enthalte offenbar genug Spielraum und sei zeitlich dehnbar, hieß es in Regierungskreisen.

mf