ATOMARER RATTENFICK

■ „Das Teil“ - Mutanten vor Atomkraftwerken, dokumentiert im „Dasein an sich“

Unsere Erbinformationen werden unwiederbringlich zerstört. Yeah, so entstehen radioaktive Mutationen. Die geschädigten Zellen produzieren kein Gewebe, aus dem ein Mensch entstehen kann. Sie produzieren DAS TEIL. Und das Teil? Das Teil muß kein lebensgroßer Mutant mit anderthalb Augen und 13 Fingern sein. Das Teil, das sind Krebs und Leukämie; das Teil versteckt sich häufig in den Kleidern gewöhnlicher Krankheiten.“ So beschreibt der Bildhauer Jan Groeneveld den Faktor der nicht genau zu definierenden und drum so unheimlicheren Mutation organischer Zellen, hervorgerufen durch radioaktive Strahlen.

Das Teil nennt sich eine Gruppe vier junger Leute (Studenten und Maler), die im November 1988 von Berlin aus eine bundesweite Aktion startete und zusammen mit 16 Künstlern Skulpturen und Mahnmale vor Atomkraftwerken aufstellte. Groteskes Vorbild lieferte die französische Atomindustrie mit einem in seiner Lächerlichkeit bestürzenden Versuch, der Atomenergie symbolisch ihre Gefährlichkeit zu nehmen: Vor der Atomanlage in Cattenom sollten Plastikschafe grasen zur idyllischen Beruhigung der Passanten.

Es entstand der Plan, Mutanten als Sinnbilder verborgener Angstgefühle und zerstörten Lebens vor den Atomkraftwerken auszusetzen. Die Gruppe wollte sich nicht mit dem Müde -Laufen der Diskussion atomarer Energie im Sumpf der Wiederholungen abfinden. Ihre Aktion wandte sich auch gegen eine zu glatte Trennung von Kunst und Politik: sie setzen der zum Dekor verkommenen Kunst eine moralisch verantwortliche Kultur entgegen. Doch schon die Organisierung der Stellplätze für die Skulpturen war mit politischer Desillusionierung verbunden. Die Grünen, zuerst um Unterstützung gebeten, zeigten kein Interesse. Erst unter den Betroffenen vor Ort stieß die Künstlergruppe auf Kooperationsbereitschaft. Da die Atomanlagen oft außerhalb der Stadt, zum Teil in Wäldchen verborgen liegen, war es nicht einfach, eindeutig beziehbare und öffentlich ins Auge fallende Standplätze auszumachen. Das Teil mußte die Material- und Transportkosten für die Aktion selbst tragen; Honorare für die Künstler gab es nicht.

Am 5. und 6.November letzten Jahres war es soweit: Die Mutanten kamen. Groenevelds bumsende Ratten, ausgediente Ofenrohre als Schwänze steil in die Luft gereckt, lauerten in Philippsburg, um die Spaziergänger im Naherholungsgebiet in AKW-Nähe zu warnen. Sie nehmen (ähnlich wie in Grass‘ Roman „Die Rättin“) die ins Riesenhafte mutierten Angehörigen einer zähen Art vorweg, die widerstandsfähiger als das Menschengeschlecht die radioaktive Katastrophe überlebt.

Vor Gorleben ist neben der Landstraße ein gewaltiger Engel auf den Boden gestürzt, nicht mehr länger fähig zu behüten und zu schützen. Die große Holzplastik krümmt sich und hält die Flügel an den Körper gepreßt, als wolle sie sich in sich selbst verschließen. In Lingen liegt, von einer Brücke aus einsehbar, ein Stahlblech aus dem Boden, in das die Umrisse einer Familie hineingebrannt sind. Es wirkt wie das Dokument einer letzten gescheiterten Flucht. In Waldshut mahnten hölzerne Pfähle, die ausgedünnte, hilflos verzerrte und im Schreck erstarrte Figuren erinnerten. Beschriebene Bleiplatten, die jedes organische Wachstum unter sich ersticken, sollen die Erfahrung der Vernichtung in einem Schock aufblitzen lassen. Das Teil selbst baute Figuren aus schon verrottetem Holz, die als Kopf ein Stück unzerstörbares Sicherheitsglas tragen und so die arrogante Überheblichkeit des Künstlichen über das Natürliche demonstrieren.

Doch die so demonstrativ symbolische Kunst, in ihren teilweise pathetischen Formen eindeutig gegen die Atomkraft gerichtet, erregte oft den Zorn der politischen Gegner. Groenevelds Ratten wurden umgeworfen, das Trojanische Pferd aus Holz, das Sabine Haubitz analog zum mythischen Bild des Unheil-Bringers bei Philippsburg aufgestellt hatte, war schon nach zwei Wochen abgefackelt - es blieb nur ein verkohltes Skelett, das nun aber erst recht ein apokalyptisches Mahnmal verkörpert. Max Schmelchers Holzskulpturen bei Waldshut fand man zu Kleinholz zersägt. An den Skulpturen, die keinen öffentlichen Schutz genossen, entlud sich eine Wut, die nicht bloß blind, sondern auch gezielt zuschlug. Die heftigsten Angriffe erfuhr Eva Vargas aus Heidelberg, die mit ihrer noch recht munter tanzenden Mutanten-Familie aus Zivilisationsmüll von Karlstein nach Neackarwestheim und an weitere Orte zog, die fragwürdige Bekanntheit als mögliche Standorte atomarer Anlagen erreicht hatten. Nicht nur ihre Skulptur wurde angegriffen, sie selbst erhielt zuerst drohende Telefonanrufe und wurde dann, als sie den Aufforderungen zur Entfernung ihrer Mutanten nicht nachkam, in der Nähe ihrer Wohnung nachts überfallen und verprügelt.

Das Teil dokumentiert seine Aktion und die heftigsten Reaktion jetzt in einer Ausstellung in Neukölln, die später nach München und Memmingen wandern wird. Die Ausstellung und ein Teil der Skulpturen sind inzwischen auch nach Salzgitter vom Verein der Bürgerinitiativen, die sich gegen das geplante Endlager im Schacht Konrad wehren, eingeladen worden. Für die Gruppe bedeutet ihre Aktion, die sie ohne institutionellen Rückhalt oder finanzielle Unterstützung, getragen allein vom Engagement der Betroffenen und der Phantasie der Künstler, zuwege gebracht haben, einen Beweis eigener Widerstandsfähigkeit.

Katrin Bettina Müller

„Das Teil“, Dokumetnation in der Galerie „Das Dasein an sich“, Mainzer Straße 22, 1/44, Mi-So, 16-20 Uhr.