Italiens Radikale flüchten in die Transnationalität

Nach dem in Budapest zu Ende gegangenen Sonderparteitag der Radikalen Partei beginnt zu Hause der Kampf ums Überleben  ■  Aus Rom Werner Raith

Das Klima schien gewandelt, die spektakulären Erfolge geradezu maßgeschneidert: Ganz anders als im Vorjahr, wo Italiens erste „transnationale Partei“, die Radikalen, in Jugoslawien noch Mühe hatten, überhaupt ein Versammlungslokal zu finden, wurden sie diesmal in Budapest mit offenen Armen empfangen, Minister gaben sich die Ehre, das Volk drückte und herzte die Radikalenführer, und das Fernsehen nahm alles, alles mit.

Kein Zweifel: Größer hätte der internationale Erfolg nicht sein könen, der Einstieg ins „Transnationale“ ist geglückt. Mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen hatte Marco Pannella 1956 einer der Gründer der Radikalen Partei - seine im Parlament kaum zwei Prozent zählende Gruppierung seit drei Jahren darauf eingestimmt, die nationalen Grenzen zu sprengen und zur „transnationalen Partei“ zu werden - nicht das Europa der zwölf hat er dabei im Auge, sondern auch die osteuropäischen Länder. Mehrere hundert ausländische Mitglieder haben die Radikalen schon früher aufweisen können. In Ungarn sollen es nun gar mehrere tausend geworden sein.

Dabei konnte sich anfangs noch von den rund 6.000 Parteimitgliedern kaum jemand vorstellen, was Pannella mit „transnational“ meint. Das Programm konnten alle unterschreiben, war - und ist - es doch fast identisch mit dem der Radikalen auch in Italien: Kampf gegen den Welthunger, Kampf für die Menschenrechte und für die Liberalisierung der Rauschgiftgesetze. Doch wie man eine transnationale Partei finanzieren soll und dies noch dazu nach der von Pannella als selbstverständlich angesehenen Auflösung des nationalen Verbandes mit der Konsequenz, daß sich die Partei selbst von den Wahlkampfmitteln abschneidet

-das ist selbst heute noch offen. Die meisten Vorständler sehen eher schwarz: Zwar sitzen im 35köpfigen „Bundesrat“ nur 17 Nichtitaliener aus 14 Ländern (aus der BRD ist niemand dabei), doch die Basis für Aktionen ist und bleibt Italien. Und wenn es bis Juni nicht gelingt, einiges Geld aufzutreiben, wird als erstes der Parteisender schließen müssen und danach die Partei selbst.

Pannella hat sich freilich schon wieder etwas Neues einfallen lassen. Mitte Mai, just zur Zeit des Sozialistischen Parteitages in Mailand, will er in Rimini wo der PSI bisher seine Kongresse abgehalten hat seinerseits einen weiteren Kongreß abhalten und dem Selbstdarsteller Craxi die Show stehlen.

Doch solche zweifellos guten politischen Kabinettstücke Pannellas täuschen kaum mehr darüber hinweg, daß die „Transnationalität“ auch eine Flucht aus der innenpolitischen Ausblutung radikaler Ideen bedeutet: War der PR in den 60er und 70er Jahren mit seinen Referenden zur Ehescheidung, zur Abtreibung, zur Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit etc. die treibende politische Kraft, so geriet in den 80er Jahren durch die Entstehung neuer Bewegungen Pannellas Verein ins Abseits: Zu spät erkannte er die Bedeutung neuer Bewegungen wie die der Frauen und der UmweltschützerInnen. Nun ziehen Grüne und selbst die Kommunistische Partei sowohl die intellektuelle Avantgarde wie die Jugend an.