„Der Tod jedes einzelnen ist singulär!“

■ Interview mit Hans Dingel, Mitglied des Vereins „Aktives Museum“, zur Forderung der „Perspektive Berlin“ nach einem Holocaust-Denkmal auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände / Kritik an „Lobbyismus“ und „ellenbogenhafter Art“ geübt

taz: Sie werfen der „Perspektive Berlin“ Lobbyismus vor. Wie meinen Sie das?

Hans Dingel: Das bezieht sich vor allen Dingen auf die Art und Weise, wie die „Perspektive“ versucht, ihre Idee zu realisieren. Zum einen, daß man, ohne sich einzulassen auf die jahrelange Diskussion um das sogenannte Prinz-Albrecht -Gelände, eine Initiative startet, die mit sehr großem Medien- und Geldaufwand verbreitet, sich prominente Fürsprecher holt, von denen man zumindest bei den meisten annehmen kann, daß sie sich damit noch nicht intensiver beschäftigt haben. Gleichzeitig versuchen sie, Kontakt zum Regierenden Bürgermeister zu bekommen und legen sehr wenig Wert darauf, mit den bisher arbeitenden Gruppen darüber zu reden. Das scheint mir eine Art Lobbyismus und Politprofitum zu sein, die der Sache hier nicht angemessen ist.

Sie argumentieren gegen ein Mahnmal auf diesem Gelände. Wieso?

Ja, mit der Unterstreichung auf diesem Gelände. Wir dürfen nicht in die Situation geraten, daß wir sagen: 'Wir wollen kein Holocaust-Mahnmal‘, - obwohl man natürlich auch darüber intensiv diskutieren muß, wie das aussehen soll. Das Problem besteht in dieser Verknüpfung. Das erklärt, warum sehr viele engagierte Menschen den Aufruf der 'Perspektive‘ unterzeichnet haben, weil sie der Meinung sind: Es fehlt in der Tat ein Mahnmal, das an das singuläre Ereignis rassistischer Vernichtung im deutschen Faschismus erinnert. Sich dann aber ein Grundstück zu suchen und zu sagen: Das haben wir in dem Prinz-Albrecht-Gelände, das ist nun der Fehler. Auf diesem Gelände kommt die Totalität faschistischer Verfolgungs- und Vernichtungspraxis zum Ausdruck. Natürlich melden sich jetzt andere Gruppen, die im Faschismus verfolgt worden sind, zu Wort, wie der Zentralrat der Sinti und Roma. Aber es sind ja nicht nur die, es sind ja auch andere, die sich bisher noch nicht gemeldet haben. Und das führt zu einer quälenden, falschen, verderblichen Diskussion über eine Hierarchie der Opfer. Wir sind der Meinung, daß auf diesem Gelände erstens deutlich gemacht werden muß, daß es ein ganz spezifischer Ort der Täter war: nämlich der Bürokratiespitze, die Verfolgung und Vernichtung organisiert hat, die dann tausende Kilometer vom Gelände praktiziert worden ist. Insofern nicht vergleichbar mit einer KZ-Gedenkstätte. Und zweitens sind wir der Meinung, daß es eine Sache ist, sich damit zu beschäftigen, was die Kernelemente von Hitlers Weltanschauung sind, wo in der Tat der Antisemitismus eine zentrale Rolle spielt. Eine andere Sache ist es, der Opfer zu gedenken. Die Opfer sind als Opfer gleich. Ob nun ein Zigeuner ermordet worden ist in Auschwitz, ob ein Homosexueller in einem KZ zu Tode gequält worden ist, ob ein Zeuge Jehovas die Strapazen der KZ-Qual nicht überstehen konnte, ob es sich um Politkommissare der Roten Armee handelt, die aus Kriegsgefangenenlagern von Gruppen der Sicherheitspolizei und des SD ('Sicherheitsdienst‘, red) selektiert worden sind, um dann erschossen zu werden: Sie sind im Tode gleich und müssen auch entsprechend gewürdigt werden, ohne daß man sagt: Der eine Tod ist wissenschaftlich bedeutsamer als der andere. Das ist der Skandal, daß diese beiden Dinge vermischt worden sind. Dazu kommt die etwas ellenbogenhafte Art der „Perspektive“, ihre Konzeption durchzusetzen.

Tilman Fichter von der „Perspektive“ hat in einem Interview mit unserer Zeitung die Initiative des Vereins verteidigt, unter anderem damit, daß er die Ermordung der Juden im Faschismus als Zivilisationsbruch kennzeichnete. Damit hat Fichter die Singularität dieses Verbrechens unterstrichen. Was sagen Sie dazu?

Erstens: Der Tod jedes einzelnen ist singulär. Wenn man von der ideologischen Konzeption ausgeht, hat Fichter natürlich recht. Es gibt keinen anderen Faschismus auf dieser Welt, der den Antisemitismus bis zur rassistischen Vernichtung in den Mittelpunkt gestellt hätte, so wie es der deutsche Faschismus getan hat. Da hat er recht. Aber das Prinz -Albrecht Gelände ist mehr. Es ist der komplexe Zusammenhang von politischer Verfolgung, die vorangehen muß, um überhaupt das rassistische Vernichtungsprogramm durchsetzen zu können. Und Rassismus ist auch mehr: Denn auch die Roma und Sinti sind verfolgt worden. Auch die imperialistische Komponente muß hineingebracht werden, also die Vorstellung, Europa neu zu strukturieren. Das zielte in erster Linie auf die Völker Osteuropas, auf die Polen, die zu einem Sklavenvolk herabgewürdigt werden sollten. Und die Völker im europäischen Teil der Sowjetunion, die ebenfalls mit rassistischer Begründung auf einen Sklavenstatus herabgewürdigt wurden. All dieses muß bei einer Bearbeitung des Prinz-Albrecht-Geländes, wenn es ein Ort nicht -angenommener deutscher Geschichte ist, und wenn man sich diesem Ort nun stellt, dieses alles muß zum Ausdruck gebracht werden. Und wir fürchten, wenn man diesen Ort nimmt, um an das singuläre Ereignis der Vernichtung der europäischen Juden zu denken, daß dann zweierlei passieren wird: Daß diejenigen Gruppen, die man nicht zufällig vergessene Opfer des Faschismus genannnt hat, weiter vergessen bleiben. Zweitens, daß ein solches Mahnmal auf diesem Gelände das Gegenteil von dem bewirkt, was es bewirken soll. Es wird bald nicht mehr stören, es wird ein Monument sein, an das man sich gewöhnt, an dem man Kränze niederlegt. Aber die aktive Auseinandersetzung, die das „Aktive Museum“ will; die Beschäftigung mit der Vergangenheit, um Handlungsstrategien für die Gegenwart zu entwickeln, das würde völlig hinten runterfallen.

Wie wollen Sie diese aktive Auseinandersetzung denn gewährleisten?

Da gibt es eine Reihe von Vorstellungen, die aber noch nichts Präjudizierendes haben. Zum einen gibt es die Aufgabe der Dokumentation. Das Interview mit dem Geschäftsführer der „Perspektive“, Jakob Schulze-Rohr, das in der taz war, hat ja gezeigt, daß er von vielen Dingen keine Ahnung hat. Was er über die Roma und Sinti gesagt hat, ist ein Skandal. Das heißt: Aufklärung tut not. Da ist die „Topographie des Terrors“ nur ein kleines Schrittchen. Das zweite: Man muß Institutionen auf dem Gelände oder in der Nähe schaffen, wo es arbeitenden Gruppen möglich ist, sich selber diese Vergangenheit zu erarbeiten. Und es wird ein Ort sein, wenn er unbequem werden soll, wo man sich einmischen muß in die aktuellen Entwicklungen. Wenn man sich zum Beispiel mit der Geschichte des Polizeiapperates in der Nazi-Zeit beschäftigt, wird man sich fragen müssen: Sind da nicht Kontinuitäten, die wir bekämpfen müssen, weil wir die Vergangenheit kennen. Das heißt, die Verantwortung der jetzt lebenden Generation und der, die nach uns kommt, ist vergleichsweise größer als die Verantwortung der Generation, die den Faschismus erlebt hat, so paradox das klingt. Die Älteren nehmen für sich immer noch in Anspruch, daß das, was sich ab 1941/42 herausgebildet hat, 1933 so nicht erkennbar war. Was immer man von dieser Argumentation hält: Wir können sowas nicht mehr sagen, wir wissen, was passiert ist. Und dieser Ort hat deshalb die Aufgabe, durch Aufklärung zu aktivem Handeln in der Gegenwart zu führen.

Walter Momper hat noch einmal darauf hingewiesen, das die unterschiedlichen Vorstellungen zur Gestaltung des Geländes in einer Kommission unter Vorsitz von Prof. Dr. Rürup bis zum Herbst diskutiert und geklärt werden sollen. Halten Sie das für einen vernünftigen Weg?

Ich werde die „Vernunft“ erklären müssen. Ein unvernünftiger Weg wäre es, wenn man sich darunter vorstellt, es reiche aus, im parlamentarischen Verfahren eine Kommission einzusetzen, die das für uns löst. Vernünftig ist natürlich, daß der Staat sich seiner Verantwortung nicht entziehen kann. Er kann aber auch nicht sagen: Nun macht mal. Er muß sich engagieren. Es kann was Vernünftiges dabei rauskommen, wenn die Kommission in der Lage und willens ist, die Diskussionen und Erfahrungen, die sich in der interessierten Öffentlichkeit entwickelt haben, zur Kenntnis zu nehmen, produktiv zu erarbeiten und daraus einen Vorschlag zu machen.

Die öffentliche, nicht-staatliche Diskussion wird ja geführt von der „Perspektive“ und Ihrem Verein, dem Aktiven Museum. Wie wollen Sie denn verhindern, daß das kein Konkurrenzprojekt wird?

Es ist schon ein großer politischer Erfolg für die „Perspektive“, wenn Sie sagen, die öffentliche Diskussion würde von der „Perspektive“ und uns geführt. Das tut so, als wären wir gleichwertige Partner. Wir sind sicherlich ungleichwertig, was den Medieneinsatz angeht. Wir sind aber überlegen, was den Problemhorizont angeht. Die Gruppen, die sich mit dem Gelände beschäftigt haben, - das Aktive Museum, die Initiative zum Umgang mit dem Gestapo-Gelände und die im Aktiven Museum zusammengeschlossenen Verbände - haben ein vielfaches an Wissen, was auf diesem Gelände passiert ist. Es gab Zeitzeugeninterviews und vieles mehr. Von der inhaltlichen Seite sieht die „Perspektive“ sehr blaß aus. Sie hat die Durchschlagskraft deswegen, weil sie ein 'single purpose movement‘ ist. Sie hat ein Ziel: Dieses Mahnmal. Alles andere interessiert sie nicht oder nur am Rande.

Wie wollen Sie sich denn nun mit der „Perspektive“ verständigen?

Ich gehe davon aus, daß viele den Aufruf der „Perspektive“ unterschrieben haben, weil ihnen die Idee eines solchen Mahnmals einleuchtet, die sich aber über den Standort relativ wenig Gedanken gemacht haben. Ich denke, daß man sich einigen kann, wenn man sagt: Gut, es ist richtig, wenn man von der Singularität des Mordes an den Juden spricht. Dann aber muß ein solches Mahnmal tatsächlich Ausdruck dieses kollektiven Erbes sein. Das bedeutet, daß es möglicherweise der falsche Weg ist, einen Ort zu suchen, der im historischen Kontext zu dieser Vernichtung steht. Ein postives Beispiel wäre, wenn man ein solches Mahnmal vor den Reichstag stellen würde. Da steht ja, wie man weiß, 'Dem deutschen Volke‘ drauf. Und dem Deutschen Volk zeigt man mit diesem Mahnmal, was auch zur deutschen Geschichte gehört. Das wäre ein Platz, der angemessen wäre; der nicht beinhaltet, daß man sich nun wieder über die Hierarchie der Opfer streiten müßte.

Interview: C.C. Malzahn