piwik no script img

Die Stille in Mosambik

■ Über die Schwierigkeiten, in und aus Mosambik zu berichten

Als der Zyklon Filao den Küstenstreifen der Zambesie-Provinz in Nordmosambik erreichte (1988), zerriß er die Hochspannungsleitungen des Hauptstädtchens, überflutete die umliegenden Felder und walzte viele der provisorischen Flüchtlingsbehausungen nieder. Man konnte die Zerstörung schon vom Flugzeug aus sehen, noch bevor es zur Landung in der Provinzhauptstadt ansetzte.

Ein Zyklon jedoch gehört zu der Sorte von Unfällen, die man in Zambesie nebenbei hinnimmt auf seinem ohnehin schweren Weg - einem langsamen, aber zähen Vorwärtshumpeln, unterbrochen von langen Pausen des Stillstands. Zunächst einmal haben solche vergleichsweise seltenen Naturereignisse wie der Zyklon Filao in den achtziger Jahren in Mosambik wesentlich weniger Schaden angerichtet als die anhaltende Dürre, die um 1985 herum bereits Hundertausende auf der Suche nach Nahrung und Wasser in Bewegung gesetzt hat.

Aber es gibt einen anderen, bezeichnenderen Grund, warum Filao in Zambesie keine besondere Aufregung verursachte. Die Auswirkungen des Zyklons ähnelten in geradezu auffallender Weise den inzwischen wohlbekannten Zerstörungen durch die Renamo, der sogenannten nationalen Widerstandsbewegung Mosambiks; auch diese von Südafrika unterstützten Rebellen halten sich, wie Filao, an Objekte wie Hochspannungsleitungen, Farmen, Entwicklungsprojekte und vor allem an die zivile Bevölkerung. Eine vom US-State -Department beauftragte Studie vom vergangenen Jahr macht Renamo für 100.000 Ziviltote verantwortlich.

Wie sollen Journalisten über Mosambik berichten, wenn der Zugang zu den ländlichen Gebieten, also dem allergrößten Teil des Landes, wegen der Renamo fast völlig unmöglich und die Hauptstadt vom Rest des Landes isoliert ist? Der einzig sichere Weg aus Maputo heraus ist der Luftweg - ein enger Zugang, der viele Journalisten glauben macht, sie hätten etwas von Mosambik begriffen, wenn sie vom Flugzeug aus auf den Busch herunterstarren.

Mosambik hat eine eigene Presseagentur, die ausgezeichnete Berichte herausgibt, über das Land selbst und über Themen, die alle neun Mitglieder des Kongresses für Afrikanische Entwicklung und Kooperation (SADCC) betreffen. Die Agentur, 'Agencia de Informacao de Mocambique‘ (AIM), ist 1975, im Jahr der Unabhängigkeit von Portugal, gegründet worden. Sie produziert täglich Informationen in Portugiesich und Englisch und Monats-Bulletins in Französisch und Englisch.

AIM ist Teil einer mehr oder weniger gesunden Presselandschaft, die ansonsten aus einem offiziellen Rundfunksender, der in zwei europäischen Sprachen sendet, zwei Tageszeitungen, von denen die eine, 'Noticias‘, seit über 60 Jahren existiert, und einer Handvoll Zeitschriften besteht. Das Bulletin der Agentur ist jedoch die hauptsächliche Quelle, aus der ausländische Journalisten für regelmäßige Information aus Mosambik ihre Nachrichten schöpfen.

Im vergangenen Jahr hatte ich das Glück, mit einem AIM -Journalisten nach Zambesie fahren zu können. Mit ihm, seine Name ist Antonio Gumende, kam ich in der Provinzhauptstadt Quelimane an, nur wenige Tage nach dem Wüten des Zyklons Filao. 50 Tote waren schon geborgen, und man suchte nach weiteren Opfern; die Behörden hatten den Notstand ausgerufen. Für Journalisten war es außerordentlich schwierig, an regionale Frelimo-Vertreter heranzukommen, oder auch an Leiter der Notstandsoperationen und Hilfsorganisationen in Quelimane. Telefonleitungen waren tot, es gab nicht genug Fahrzeuge und selbst, wenn es sie gegeben hätte, fehlte das Benzin.

In Mosambik ist Geduld eine notwendigere Tugend als in jedem anderen Teil der Welt. Gumendes Geduld jedoch war von anderer Art als die schnelle Resignation vieler ausländischer Journalisten in Afrika. Ihn umgab die Aura eines Jägers auf der Pirsch, der einer Spur folgt, die sich alle paar Stunden durch heftige Regenfälle wieder verwischt. Seine Fähigkeit, den richtigen Augenblick abzuwarten, war unverzichtbarer Teil seines Einfallsreichtums - ein wertvoller Fundus, der ihn von einmal gefundenen Spuren nicht abweichen ließ, ihn aber auch von fruchtlosem Suchen abhielt.

Einmal, in Quelima, schaffte ich es, ihn von seinem besseren Instinkt abzubringen, und bestand auf einem Interview mit dem lokalen Parteibeamten, der für die Wasserversorgung der Obdachlosen zuständig war. „Das ist reine Zeitverschwendung“, sagte er und versuchte mir zu erklären, daß der Mann einfach zu beschäftigt ist. Ein leicht verzweifelter Optimismus brachte mich dazu, hartnäckig auf ihn einzureden, so daß er zum Schluß nachgab

-und wir schließlich einen ganzen Tag mit der vergeblichen Verfolgung des Funktionärs verloren.

Millionen von Menschen waren in Mosambik durch Krieg und Hunger entwurzelt, allein in Zambesie gab es 430.000 Flüchtlinge. Die Renamo-Soldaten führten einen brutalen Krieg und richteten ihre Angriffe meist gegen die Zivilbevölkerung. Sie hatten viel Energie darauf verwandt, Stellungen entlang des Zambesi-Flusses zu errichten und zu sichern, um so das Land zu teilen und die Regierung entscheidend zu schwächen; diese Strategie hatte sich bereits 1987 als undurchführbar erwiesen.

Aber die Rebellen hatten ihre Spuren im ganzen Gebiet hinterlassen. Mit einer Gruppe von Beamten fuhren wir von Quelima zu einem Dorf am Rande der Stadt. Dort waren gerade Flüchtlinge aus einem von Rebellen besetzten Gebiet der Provinz angekommen. Man hatte ihnen notdürftig ein Lager eingerichtet; die Menschen waren in einem entsetzlichen Zustand. Antonio Gumendes Bericht, den er nach Maputo sandte, wo die Agentur ihn für das englischsprachige Bulletin übersetzte, habe ich aufbewahrt; er schreibt da in bewegten Worten: „Etwa 40 Flüchtlinge sitzen unter einem üppig belaubten Feigenbaum... Erst vor kurzem sind sie in Licuare angekommen. In ihrer Desolatheit liegt etwas, das an Bilder aus dem Geschichtsbuch denken läßt, an Bilder vom Sklavenhandel. Ihre Körper, die aussahen wie mit Haut überzogene Skelette, waren nackt bis auf Lendenschurze, die aus farblosen Lumpen, einem Fetzen Sacktuch oder gar nur flachgepreßten Rindenstücken bestanden und kaum ausreichten, ihr Geschlecht zu bedecken. Diese ausgemergelten Körper legten schweigend Zeugnis ab von den Bedingungen, unter denen die Bauern in den von Renamo-Banditen besetzten Gebieten leben müssen - Verbrechen, die Südafrika deckt.“

Die Flüchtlinge hatten einen Sprecher gewählt, einen alten Mann namens Costa, der uns jetzt erzählte, wie seine Familie zwei Jahre lang während der Herrschaft der Rebellen überlebt hatte. Renamo ist bekannt dafür, daß sie die Zwangsarbeiter hungern läßt. Costas Familie war keine Ausnahme. Nur mit zerstoßenen Wurzeln von Bananenbäumen hatte sie sich am Leben erhalten. Jetzt wird sich das Notstandszentrum um sie kümmern, sie einkleiden und ernähren, bis die Regierung Mittel und Wege findet, um sie irgendwo wieder anzusiedeln. Zunächst aber waren diese Menschen hochgradig erschöpft und immer noch wie unter Schock. Einige konnten kein Wort herausbringen, entweder vor physischer Schwäche oder - in diese Richtung weisen Berichte von Hilfsorganisationen immer wieder - weil sie vom Leben unter den Rebellen schwer traumatisiert waren.

Das Schweigen der unterernährten, kranken Menschen in Mosambik ist beklemmend. Sein Ursprung liegt in Krieg und Hunger. In den schlimmsten Flüchtlingslagern wird es nur ab und zu unterbrochen von krampfartigem, trockenem Husten und dem rhythmischen Stampfen, mit dem Frauen das ihnen zugeteilte Getreide mahlen. Es ist auch das Schweigen des Analphabetismus - unter portugiesischer Herrschaft konnten 90 Prozent der 14 Millionen Mosambikaner weder lesen noch schreiben. Und es ist schließlich die tiefe, irritierende Stille der ländlichen Gebiete - eine entmutigend große, unzugängliche Landmasse, über die man wenig weiß, da Renamo die Infrastruktur zerstört hat und riesige Gebiete zum Reisen zu unsicher geworden sind.

Die Menschen Mosambiks kämpfen hart, um diese ungeheuerlichen Schwierigkeiten zu überwinden - während Renamo weiter ihre Schulen und Krankenhäuser zerstört, Züge sabotiert und Lebensmittelkonvois beschießt. Die Nachrichtenagentur 'AIM‘ hat, ebenso wie die anderen Presseorgane Mosambiks, konsequent und ausführlich über den Zustand des Landes berichtet. Ihre Redakteure und Journalisten sind im allgemeinen den Fallen entkommen, die das Arbeiten unter ministerialer Kontrolle eines Einparteiensystems mit sich bringen kann. Sie haben in jedem Fall besser verstanden, den Zustand des Landes begreifbar zu machen, als die vielen ausländischen Journalisten, die ins Land einfallen, wenn Katastrophen schlimme Ausmaße annehmen. Antonio Gumende und seine Kollegen haben nicht nur über Katastrophen, sondern auch über Erfolge berichtet. Und sie haben Schneisen in die unheimliche Stille geschlagen, die sich nach 1980 über die ländlichen Gebiete gelegt hatte eine der schwersten Aufgaben der Presse im südlichen Afrika, die überhaupt vorstellbar ist.

Jeremy Harding

Jeremy Harding ist Experte für Afrika und arbeitet unter anderem für die BBC. Er lebt in London.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen