: MARCIA PALLY
■ Short Stories from America: Der neue Krieg
Marcia Pally ist eine bekannte New Yorker Journalistin, gleichzeitig Chef-Filmkritikerin bei 'Penthouse‘. Sie schreibt unter anderem in 'The Village Voice‘, 'New York Times‘, 'The Nation‘ und 'Taxi‘. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den Big Brother wissen sollten.
Ich mache mir Sorgen über die Zukunft der Nato. Schon seit ihrem vierzigsten Geburtstag vor sechs Wochen. Ich frage mich, was sie ohne das Reich des Bösen noch anfangen kann. Solange man sich als Erwachsener erinnern kann, hat uns die rote Gefahr mit einem Feind versorgt, sie war die raison d'etre der Nato, der böse Bube, den man hauen und erobern konnte, der Heide für die Nato-Kreuzritter - und jetzt hat Gorbatschow uns das alles weggenommen. Der Spielverderber. Fördert kein Uran für Rüstungszwecke mehr, steigt aus dem Rüstungswettlauf aus. In Polen gibt es Solidarnosc und Wahlen, die Presse macht sich unabhängig, in Estland gibt es politische Parteien, und in Georgien Aufstände gegen Gorby selbst - wir lassen unsere südamerikanischen Bananenrepubliken doch auch nicht tun, was sie wollen.
Mir ist schleierhaft, warum er nicht mehr mit uns spielen mag, es hat uns doch allen Spaß gemacht, und die Regeln waren von begrüßenswerter Klarheit: Die Kommies waren die Körperfresser der Amis, und die verkommenen Kapitalisten waren die Körperfresser der Kommies. Gegenseitig machten wir uns für alle erdenklichen Unbilden des Lebens verantwortlich und lenkten uns so kunstvoll von den wirklichen Ursachen wirtschaftlicher oder sozialer Krisen ab, daß die Regierung nur ab und zu kalter Krieg! zu schreien brauchte, um das Spiel am Laufen zu halten. Und das Tollste: Wir bauten unsere Bomben in der sicheren Überzeugung, daß wir damit das Böse an der Wurzel packten, daß wir nicht nur stark, sondern auch gut und im Recht waren.
Das Drama mit den sowjetischen Juden ist ein perfektes Beispiel dafür, wie das Spiel funktionierte. Niemand hat die Juden je ernstlich gewollt, weder Churchill, noch Roosevelt oder der Papst, aber jahrzehntelang erlaubten sie den Führern der westlichen Welt, die Sowjets für ihren Antisemitismus zu geißeln und sie aufzuforden, unser Volk endlich gehen zu lassen. Ein Passahfest von fünzig Jahren Dauer, wir spielten Moses, die Russen den Pharao. Wir wußten ja, daß unser Stadtviertel sicher war vor den Juden. Nun läßt Gorbatschow sie reisen, und plötzlich gibt es eine Menge russisch-jüdischer Taxifahrer in New York, was - wenn ich mich richtig erinnere - nicht ganz der Willkommensgruß ist, den wir ihnen jahrelang versprachen. Gorbatschow hat unseren Bluff beim Wort genommen und gewonnen. Wenn du nicht mal mehr die Juden als Spielfiguren einsetzen kannst, dann weißt du, daß das Spiel verloren ist.
Also braucht Westeuropa einen neuen bösen Buben. Seit wir zur Jahrhundertwende die Grenzen geschlossen haben und die gottlosen Indianer - die erste rote Gefahr verlorengegangen sind, haben wir dem Kommunismus diese Rolle gegeben. Und er hat gut gespielt! Er war da, wenn wir gegen die Gewerkschaften kämpfen mußten, wenn die Arbeitskosten stiegen und die Wirtschaft schlingerte; er war da, wenn wir einen Schuldigen für eine Befreiungsbewegung in der Dritten Welt brauchten, die die Arbeitskosten in die Höhe schnellen ließ und unsere Wirtschaft ruinierte. Ihn konnten wir für die moralische Auszehrung unseres Landes, die sexuelle Freizügigkeit und Homosexualität verantwortlich machen. Wirklich und wahrhaftig, der Kommunismus stand auf unserer Seite, ein einziger und gut sichtbarer Sumpf, der besser zu bekämpfen war als schwankende Wirtschaftszyklen oder sich verändernde Geschlechterrollen, der Darth Vader unseres Luke Skywaker, ein Trottel für unseren Rocky, ein Buhmann für Rambo, und - ohne die Afro-Amerikaner beleidigen zu wollen, besser als die „Nigger“. Was sollen wir ohne ihn tun?
Drogen. Das ist es. Aus Zwickmühlen finden die Amerikaner immer schnell heraus, und da uns Gorbi unseren bösen Buben genommen hat, suchen wir einen neuen. Ihn möchte ich Europa ans Herz legen. Wie haben den Drogen schon den Krieg erklärt, nun müssen auch Sie über Coke und Crack sprechen wie früher über die Kommunisten. Sie sind unsere neuen Körperfresser und haben ihre ganz eigenen Gehirnwäschemethoden; Wenn sie einmal in Ihren Geist eingedrungen sind, gehören Sie nicht mehr zu uns. Dann können Sie für alles verantwortlich gemacht werden: wirtschaftliche Schwierigkeiten und Kindesmißbrauch, und wir können Sie mit all unserer militärischen Schlagkraft angreifen.
Präsident Bush befürwortet die obligatorische Todesstrafe für große Dealer, so wie sie einst - sehr zum Leidwesen der Saccos, Vanzettis und Rosenbergs - für kommunistische Spione vorgesehen war. Er möchte die National Guard, eine Division der Army, zum Kampf gegen die Drogen in Washington D.C. führen, und wir stecken das Geld in die Durchsetzung der Drogengesetze wie einst in die Verteidigung. 1987 gab die Air Force zum Beispiel die erkleckliche Summe von 45.600.000 Dollar für die Jagd auf Drogenflugzeuge aus. Zwei davon hat sie gefaßt. In diesem Jahr ließ sich die Navy die Verfolgung von Drogenbooten 37.400.000 Dollar kosten. Zwanzig wurden erwischt. 750.000 Personen werden jährlich wegen Drogen festgenommen, 562.500 davon wegen Besitzes, die Rechnung für ihren Gefängnisaufenthalt macht 90 Milliarden Dollar. Nicht enthalten ist in dieser Summe das Geld, das von den lokalen Polizeidezernaten, dem Fußvolk in unserem neuen Krieg welches unsern Jungs in Vietnam ethnisch übrigens nicht ganz unähnlich ist - für die Drogenbekämpfung ausgegeben wird. Aber das ist uns egal. Hauptsache wir haben einen neuen Darth Vader, eine neue einzige Quelle des Bösen, der wir unsere komplexen Probleme anlasten können. Wir werden es schaffen!
Ich war enttäuscht zu hören, daß das europäische Drogenproblem nicht groß genug ist, um den Kommunismus zu ersetzen. Deshalb möchte ich vorschlagen, daß Sie es importieren. Ich bin sicher, daß die CIA gerne bereit wäre, heimlich Drogen an die Nato-Partner zu senden und Ihnen dann Gewehre, Flugzeuge und Patrouillenboote zu verkaufen - ganz zu schweigen vom speziellen Antidrogen-Training für Ihre Polizei -, so daß Sie das Problem dann auch richtig bekämpfen können. Über die Drogensüchtigen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen: Seit unserer Kriegserklärung gegen die Drogen ist der Drogenkonsum in der weißen Mittelklasse gesunken und bei den armen Schwarzen und Latinos gestiegen. Alles in allem ist das System ein Segen für alle Beteiligten. Es gibt der amerikanischen Wirtschaft einen neuen Markt, der Nato einen Job, und - was das Beste ist allen rechtdenkenden Europäern einfach ein besseres Gefühl. Bei uns hat es schon Wunder gewirkt. Aus dem Amerikanischen von
Thierry Cherve
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