Paraguay: Zaghafte Schritte in die Demokratie

Am 1. Mai soll in dem südamerikanischen Land nach fünf Jahrzehnten Stoessner-Diktatur frei und ohne Betrug gewählt werden / General Rodriguez gilt als sicherer Gewinner der Wahl / Im Wahlkampf erklärt selbst die Opposition: Wir müssen die Folter vergessen  ■  Aus Asuncion Gaby Weber

Paraguay hat sich mächtig herausgeputzt, damit die ausländischen KorrespondentInnen, die zu den Wahlen am kommenden 1. Mai angereist sind, auch merken, daß jetzt neue Zeiten angebrochen sind: Schon am Flughafen werden Journalisten von Betreuerinnen in Empfang genommen und ins neu eröffnete Pressezentrum im Hotel Guarani geschleust. Das Presseamt hat für die Korrespondenten eine Informationsmappe zusammengestellt mit den Adressen von Botschaften, Restaurants, der Verfassung und den Programmen aller zugelassenen Parteien. Man will beweisen, daß nach 34 Jahren Stroessner-Diktatur nun die Demokratie ausgebrochen ist. Und es fing ja auch vielversprechend an: Zahlreiche Paraguayer strömten aus dem Exil in ihre Heimat zurück, die Zeitungen 'ABC Color‘ und 'Pueblo‘ hängen wieder am Kiosk, und das verbotene Radio Nanduti ist wieder im Äther. Um sein neues Image als Befreier auszunutzen, setzte der neue Machthaber, General Andres Rodriguez, Neuwahlen bereits auf den 1. Mai 1989 an. Die Verfassung schreibe einen Urnengang innerhalb von 90 Tagen nach der Abdankung des Präsidenten vor, argumentiert der General.

Die Opposition hält ihm entgegen, daß er sich beim Putsch gegen General Stroessner Anfang Februar auch nicht an die Verfassung gehalten habe und fordert die Verschiebung der Wahlen um ein Jahr. In drei Monaten, so kritisiert sie, könne das alte Wahlregister nicht von Karteileichen gesäubert werden, die Parteien könnten ihr Programm nicht ausreichend publik machen und nicht alle ihre Mitglieder in die Wahlregister eintragen. Vor allem in ländlichen Gebieten sind in den letzten Wochen die Eintragungsformulare „ausgegangen“. Die Fernsehwerbung ist für die meisten Parteien zu teuer, der staatliche Rundfunk hat jeder Partei nur 15 Minuten täglich Werbezeit zugestanden. Von „Wahlbetrug“ ist bereits die Rede, und den wird es wohl auch geben, mehr der Macht der Gewohnheit als einer wirklichen Notwendigkeit folgend.

Niemand zweifelt daran, daß der neue Machthaber mit seiner seit Jahrzehnten regierenden Colorado-Partei die kommenden Wahlen gewinnen wird, nicht mit den 90 Prozent, die sich Stroessner regelmäßig gutgeschrieben hat, aber „sauber und ohne Wahlbetrug“, glaubt Bischof Melanio Medina, der der Theologie der Befreiung nahesteht. Nach einer Meinungsumfrage, die von der Katholischen Universität und der FDP-nahen bundesdeutschen Naumann-Stiftung durchgeführt wurde, werden auf die Colorado-Partei am kommenden Montag 65 Prozent entfallen, nach einer US-Umfrage sogar 72 Prozent. „Die Opposition hat sich nach langjähriger Verfolgung in interne Streitereien verzettelt“, erklärt der Bischof, „um sich wieder zu organisieren, wird sie Jahre brauchen.“

Das Oppositionsbündnis Acuerdo Nacional, das sich an den Stroessner-Wahlen nie beteiligt und im wesentlichen die hauptstädtische Mittel- und Oberschicht repräsentiert, zieht am 1. Mai mit drei Kandidaten ins Rennen. Domingo Laino, Chef der Radikalliberalen Authentischen Partei, kann mit 20 Prozent der Stimmen rechnen, die Christdemokraten mit sechs Prozent und die sozialdemokratischen Febreristen, die den früheren hohen Beamten des Internationalen Währungsfonds, Fernando Vera, aufgestellt haben, mit fünf Prozent. Die Liberale Partei und die Radikalliberale Partei, die beide Stroessner als Alibi-Opposition dienten, und dafür regelmäßig mit einem Drittel der Parlamentssitze belohnt wurden, dürften zusammen auf ein Prozent kommen.

Mit dem Sturz Stroessners hat die ohnehin schwache Opposition ihr Feindbild verloren. Die Christdemokraten machen mehr Propaganda gegen Laino, den sie als Marionette des US-Imperialismus anklagen, als gegen General Rodriguez und die Mopocos, die sich in den 50er Jahren von den Colorados abgespalten hatten und im Februar aus dem Acuerdo Nacional austraten und ins Regierungslager überwechselten.

Bei seiner Machtübernahme hatte Rodriguez ein Ende der Korruption, Menschenrechtsverletzungen und der Diskriminierung der Kirche versprochen, mit derselben Diktion, mit der stets sein Vorgänger vollmundig die Freiheitsrechte und Demokratie gefeiert hatte. Täglich veröffentlichen die Medien neue Korruptionsfälle, mit Namen, Daten und Kontonummern. Was viele vermutet hatten, meldeten jetzt auch seriöse Blätter, etwa die lange Namensliste von Gehaltsempfängern im Gesundheitsministerium, die es nicht gibt. Der frühere Innenminister Stroessners und Architekt des paraguayischen Repressionsapparats, Edgar Ynsfran, wurde beschuldigt, daß er gefoltert und bei Durchsuchungen Rinderherden gestohlen habe. „Dies alles geschah auf Befehl Stroessners“, verteidigte sich Ynsfran, der heute in der Regierungsjunta sitzt und für die Wahl zum Senator aufgestellt wurde. Die Richter wiesen alle Anzeigen gegen ihn zurück, die Delikte seien verjährt. „Ich empfinde es als auffallend“, so ein richterlicher Schriftsatz, „daß die Anzeigeerstatter 29 Jahre und 50 Tage gewartet haben, ehe sie den Weg zu einem Gericht gefunden haben.“

Nach Jahrzehnten des Schweigens sind die Menschenrechte ein Thema in der Öffentlichkeit geworden. Jeden Abend berichten Witwen der erschossenen Bauernführer im Fernsehen über ihren Leidensweg, vor dem Justizpalast wird gegen die Folterer demonstriert. Das „kirchliche Hilfskomitee“ hat im Landesinneren insgesamt 20 Massengräber entdeckt. Das größte Massengrab wird in einer Polizeikaserne vermutet, doch die geplante Exhumierung wurde aufgeschoben, weil der Ermittlungsrichter vorher eine Genehmigung des Verteidigungsministeriums einholen will. Und dort spielt man auf Zeit. Insgesamt rund 1.500 politische Gegener ließ Stroessner nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen während seiner Diktatur umbringen, und über 110.000 Oppositionelle haben seine Kerker kennengelernt. Doch die Anklagen gegen namentlich bekannte Folterer verlaufen im Sand, alle beschuldigten Polizisten verrichten weiterhin ihren Dienst.

Spätestens nach den Wahlen soll das unerquickliche Thema in der Versenkung verschwinden. Im Wahlkampf treten Bischöfe demonstrativ mit General Rodriguez auf und versprechen das Himmelreich schon auf Erden. Und von Versöhnung spricht auch heute schon die Opposition. „Jetzt hat die Stunde geschlagen, wo wir alle wie Brüder tolerant zusammen leben müssen“, so verkündete zu allem Erstaunen der PLRA-Kandidat Laino. „Wir müssen den Blick in die Zukunft, nicht zurück in die Vergangenheit richten und die schwierigen Momente und die Folter vergessen.“