SOS von dem Bounty-Eiland

■ 200 Jahre Meuterei auf der Bounty: Nachkommen der Aufrührer vor schweren Problemen / Von Ulli Kulke

Bis heute beschäftigen die Meuterer auf der Bounty die Phantasie der Nachwelt und die Drehbuchschreiber von Abenteuerfilmen. Außer dem Mythos haben die Helden von damals jedoch reale Nachkommen hinterlassen, die immer noch auf dem Fluchteiland im Südpazifik leben. Doch die Idylle trügt: Die totale Abgeschiedenheit macht den Urururenkeln heute erhebliche Probleme.

Überall und nirgends waren sie gesehen worden, die Meuterer von der Bounty, in den Jahren vor und nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert - gerüchteweise: in nord- und südamerikanischen Spelunken oder auch mal beim Spaziergang inmitten von London.

Ein wenig hatte sich die brodelnde Gerüchteküche bereits gelegt, als ein kleines, gedrungenes Robbenfängerschiff im Februar 1808, 18 Jahre nach dem legendären Coup d'etat auf der Bounty, durch die Gestaden des südlichen Pazifiks dümpelte. Die „Topaz“ stieß zufällig auf eine Insel, die auf den Seekarten ein paar hundert Kilometer weiter westlich verzeichnet war, als unbewohnt und unzugänglich galt. Die meterhohe Brandung, von keinem umliegenden Riff gebremst, machte eine Anlandung lebensgefährlich. Aber „Topaz„-Kapitän Mayhew Folger staunte nicht schlecht, als er auf der Insel mehrere Rauchsäulen ausmachte und plötzlich gar Kanus von der Steilküste abstießen und auf die „Topaz“ zuhielten. Und als die jugendlichen Kanuten an der Bordwand festmachten: europäische Gesichtszüge, dunklere Hautfarbe und perfektes Englisch...?

Als Folger dann dem einzigen erwachsenen Mann auf der winzigen Insel vorgestellt wurde, der zusammen mit neun Polynesierinnen und 19 Kindern ein frommes Leben fristete, klärte sich alles auf. Es handelte sich um John Adams alias Alexander Smith, den letzten der Meuterer-Crew.

Wer hat die Kokosnuß?

Mit dieser Frage fing der dramatische Höhepunkt auf der Reise der Bounty vor exakt 200 Jahren an. Kapitän William Bligh - der zwar nicht, wie in den diversen Spielfilmen dargestellt, von Haus aus blutrünstig seine Mannschaft traktierte, im Laufe der Fahrt gleichwohl immer mehr verbitterte - war am Abend des 27.April 1789 offenbar endgültig ausgerastet. Keinen Geringeren als seinen gesamten Offiziersstand beschuldigte er des schweren Diebstahls - von Kokosnüssen; in der christlichen Seefahrt wohl ein einmaliger Vorgang.

Der Haß auf seine Offiziere hatte für Bligh allerdings tiefere Ursachen. Während des zurückliegenden halbjährigen Zwangsaufenthaltes auf Tahiti (die Brotfruchtbäumchen, die man abholen sollte, konnten nicht eher umgepflanzt werden) haben nicht nur die gemeinen Seeleute ein paradiesisches Leben geführt. Auch die Herren Offiziere beteiligten sich allesamt in vollen Zügen am ausschweifenden Inselleben. Insbesondere vom jungen Nachwuchsoffizier Fletcher Christian, dessen Familie zu den entfernten Bekannten Blighs gehörte und der erst während der Reise seine Beförderung erhalten hatte, war der Käpten zutiefst enttäuscht. Nach dem Ablegen von der Matavai-Bay in Tahiti prallten also sehr schnell Welten aufeinander. Harte Worte fielen, auch aus Kapitänsmund: „Schweine“, „Himmelhunde“ und dergleichen.

Der über alle Maßen gedemütigte Fletcher Christian - von mehreren ebenfalls gepeinigten Mitstreitern angestachelt rückte William Bligh im Morgengrauen des folgenden 28. April auf die Kapitänsbude, ließ ihn am Mast festbinden und übernahm das Kommando auf dem Schiff, ohne Haßgefühle auf Bligh, eher voller Verzweiflung. Die Meuterei selbst verlief recht ruhig. Viele wußten in der allgemeinen Verwirrung selbst nicht so genau, ob sie nun aktiv daran teilgenommen hatten oder nicht. Entsprechend schwer war dann die Frage für jeden einzelnen: Sollte man mit hinabsteigen in die winzige offene Schaluppe, in der Fletcher Christian den entmachteten Kapitän auf hoher See aussetzen ließ, sich damit der Gefahr des fast sicheren Untergangs aussetzen, oder sollte man auf der Bounty bleiben und im Zweifel dem Tod am Galgen ins Auge blicken, wenn der lange Arm der britischen Admiralität sie in der Südsee finden sollte?

Die Frage beantwortete für die Zaudernden schließlich Christian selbst. Nach dem 19. Mann beschied er: Das Boot ist voll. Jeder zusätzliche Hosenknopf hätte in der Tat den Untergang der Schaluppe bedeutet. Um so erstaunlicher, daß Bligh es schaffte, seine 18 Mann in dieser veritablen Nußschale über 3.600 Kilometer bis nach Timor und schließlich in die Heimat zu steuern.

Für die Bounty folgte erst mal eine Irrfahrt - dem Fliegenden Holländer gleich, vom Fluch der bösen Tat verfolgt. Zunächst versuchten die nun Heimatlosen, auf der Insel Tubuai ein Gebäude zu errichten, was - wenn es denn vollendet worden wäre - im Südpazifik bis heute seinesgleichen gesucht hätte: ein gigantisches Fort mit meterdicken Wänden zur Verteidigung für den Fall einer anrückenden britischen Flotte. Als das Projekt gescheitert war, zogen es einige vor, sich erneut in Tahiti absetzen zu lassen, irgendwie aus Heimweh und trotz anstehender Todesstrafe. Denn es war schon damals nur eine Frage der Zeit, wann das nächste britische Schiff in der Matavai-Bay seinen Anker fallen lassen würde. Drei der Meuterer bezahlten diesen Entschluß denn auch tatsächlich mit dem Tod am Londoner Galgen. Der Rest verschwand auf Nimmerwiedersehen, bis Kapitän Folger John Adams auf Pitcairn traf. Doch da war an Strafe nicht mehr zu denken, England stand in den napoleonischen Kriegen und hatte andere Sorgen.