Swinging Metropolis

■ 26. Goody-Goody-Goodman

Verrucht & verpönnt synkopisch klimpert ein Pianoforte in den Einbruch der langen Nacht. Es begleitet „Vamps Schwanengesang“, von Telefunken immerhin noch Ende 1933 veröffentlicht. Die Interpretin Hilde Hildebrandt ist, und das paßt ja ganz gut, im Moment grad Gegenstand allgemeiner Tratscherei von wegen lesbisch und so: „Lebt wohl, ihr tausend Opium-Zigaretten. Mein ausgedienter Herrenfrack war hin. / Heut tanz ich meine letzten Vam-pirouetten, / zum Abschied: / Vampir-ade, Scheiden tut weh. / Aber die Mode hat jetzt das Marode satt... Und käm ich euch dämonisch, und schliche ich mich näher, / heut sagtet ihr: Die Ziege hat 'nen Knall!... Aus ist es mit dem Lästern, mit dem Sündigen. / ... Heut bin ich nur ein totgeborenes Kindchen, / das sich im eignen Sand verläuft! / ... Lebt wohl, ihr kurzen, schrillen Schreie: / Ah ah! / Ihr Spinnenfinger mit dem Hennaglanz. / Heut tanz ich das letzte Mal aus der Reihe. / ... mein Modetanz ist nur mein Schwanengesang: / Vampir ade, Scheiden tut weh. / Man hat jetzt Mädchen lieb / vom süßen Gretchentyp. / What's about the vamp? / Der Vampir ist tot! / Es lebe der Vamp!“

Später wird dann das Werbemädel auf dem feminaPlakat auch etwas mehr in Richtung Gretchen idealisiert, bezeichnenderweise im Jahr nach der Olympiade. Dies legendäre 1936, da Hitlers aufgesetzte Internationalitäts- & Toleranzmütze zu enormem Aufbäumen oppositioneller, weil freier Musikkultur führt, dies Jahr des Luftlochs im Angstverhau wird gesondert ausgeleuchtet werden. Zwei Indizien der Zeit aber zeigen die Abbildungen: das c in Oscar Joosts Vornamen ist ausgetauscht gegen ein k, wie „kleinkariert“, und dem konsequent hottenden Teddy Stauffer ward - auf dem 37er Plakat - das y entzogen. Darüber hinaus wird Jose zu Eugen Wolff, an die Beispiele Lewis Ruth Ludwig Rüth und Ette Ette mag sich der Leser erinnern, so er aufmerksam diese (nahezu) wöchentlichen Betrachtungen studiert. Weitere Beispiele mögen Fred Bird, der nun zum Fritz Lehmann rekonvertiert, oder Jean Goldkette sein. Die Band des mutmaßlich jüdischen Amis firmiert nunmehr als „Jean's Orchestra“ auf den SchallplattenAufdrucken - ein wörtlicher Etikettenschwindel. Dann waren da noch die Comedian Harmonists, deren drei arische Mitglieder (Biberti, Botts & Leschnikoff), genötigt, ihre jüdischen Freunde zu verleugnen, mit Ersatzleuten noch ein wenig wursteln dürfen - als „Meistersextett“. Heinz Wehner, der eine hervorragende musikalische Rolle spielt, wird der Begriff „Telefunken-Swing-Orchester“ verboten; er muß sich fürderhin mit einem schlichten „Tanzorchester“ begnügen, was ihn nicht hindert, jazzige Titel wie „Aunt Hagars Blues“ & „Bye bye Blues“ aufzunehmen.

Wer nun beim Trödler über die SchellackSchnulze „Mutterlied“ oder ähnlich Sulz, von Wehner eingespielt, stolpern sollte, zweifle nicht gleich an der Aufrichtigkeit des Schreibers und dem Wahrheitsgehalt seiner Zeilen. Die Leutchen waren alle Viel- & Allesspieler; wer mag ihnen Broterwerb oder mangelndes Heldentum vorwerfen? Auch Wehner wird eine Zeitlang vorsichtig, mürbe durch viele Verwarnungen & zeitweiligen Lizenzentzug. Schließlich findet sich sogar im Repertoire des dickschädligen JugendIdols Stauffer mal ein Zugeständnis - in diesem Fall allerdings als Kalkül. Relativ unbehelligt schert sich Teddy den Teufel darum, ob die Nazis den Swing mögen oder nicht; er spielt ihn. Auch Glück gehört dazu, etwa Touren ins Ausland, Einladungen jede Menge, die ihm besonders in jenem Olympiajahr 36 zufliegen. Vielleicht auch weil er Schweizer ist, läßt man ihn gewähren - abgesehen von üblig öd blöden Pamphleten in den Leib- & MagengeschwürBlättern der Reichsmusikkammer. Doch selbst dies Gesülze stellt der RenommierJazzer mit dem heißen Draht zu originalen Hotarrangements ('35 weilt er mit seinen Teddies einen Monat in New York!) souverän ab. Er verewigt des musikalischen Chefideologen Hans Brückners triefende TralalaKomposition „Zwei Schwalben haben sich geküßt“ auf Platte. Von da an ist Ruh, und die Band fetzt ihre Hymne „Goody-Goody“ zähneknirschend registriert, doch unbeanstandet - weiter.

Hier schwingt auch die Assoziation zu Benny Goodman mit, heiß verehrt und als „Swingjude“ mit besonders aufmerksamer Hetze bedacht. „Rattenfänger“ nennt man ihn, und ein Foto seiner klarinettierenden Finger ist mit „Verbrecherhände“ unterschrieben. Den Vogel schießt die Zeitschrift 'Koralle‘ ab. Sie zeigt ebenfalls ein Foto des Swingmeisters mit seinem Instrument und behauptet im Text, er können „gar kein Instrument spielen ... denn die Geige (!) in seiner Hand“ sei „nur ein Vorwand“. Horst H. Lange spekuliert, daß ein verkappter Fan in der Redaktion saß, der sich dies Fitzelchen Satire herausnahm.

In ihrer ganzen hanebüchenen Hilf- & Ahnungslosigkeit entdecken die geifernden PseudoFachleute der braunen Ignoranz ihren Lieblingsfeind überhaupt erst im Herbst '37, als Goodman in NYC ein Konzert zu Ehren der Interbrigaden des spanischen Bürgerkriegs gibt. Irgendein Schlaumeier, Schönhuber oder Merkmüller entdeckt zudem, daß er rassisch nicht ganz koscher ist, und schon haben sie ihren Vertreter der „Verschwörung des internationalen Judentums“. Das für Jazzer klassische „Benny-Goodman-Verbot“ wird wirksam.

Norbert Tefelski