Mit der „netten Nachbarschaft“ ist es vorbei

Im lippischen Pivitsheide wollen Neonazis von der „Nationalistischen Front“ ein bundesweites Zentrum einrichten / Das Städtchen beginnt sich zu wehren / Neonazis kommen aus Bielefeld, wo sie immer mehr unter Druck geraten  ■  Von Bettina Markmeyer

Pivitsheide (taz) - „Als da letzte Woche dieser rosa Zettel im Briefkasten lag, da habe ich zu meinem Mann gesagt: 'Also ist es doch wahr!‘ Erst“, setzt die lebhafte, grauhaarige Frau hinzu, „hab‘ ich es wirklich nicht glauben wollen.“ Heute abend ist sie, wie über 600 andere, in den „Eichkrug“ gekommen. Die wie zum Schützenfest in langen Reihen aufgestellten Tische mit weißen Papierdecken reichen bei weitem nicht aus. Die Leute drängen sich in den Gängen, schon nach kurzer Zeit brennen die Augen vom Zigarettenrauch. Ein rosa Zettel steckte in der letzten Woche in jedem Pivitsheider Briefkasten. Die frisch gegründete „Initiative Pivitsheider Bürgerinnen und Bürger gegen ein Nazi-Zentrum“ hatte Alarm geschlagen. Führende Neonazis haben in der kleinen lippischen Ortschaft, die zur Stadt Detmold gehört, die ehemalige Gaststätte „Tanneneck“ an der Quellenstraße gekauft und wollen sie zu ihrem wichtigsten Treffpunkt ausbauen.

Fast 5.000 Menschen wohnen in Pivitsheide, dem ehemaligen „Vogtteil“ Lage, in dem auch die Quellenstraße liegt. Der Ort ist ein Häuserhaufen mit zwei Hauptstraßen und ohne Zusammenhalt. Die in den letzten zwanzig Jahren aus Bielefeld und Detmold zahlreich Zugezogenen haben die alten PivitsheiderInnen längst überrundet. Man identifiziert sich nicht mit diesem Ort ohne Gesicht, interessiert sich kaum für das, was hier los ist. Jetzt kleben NF- und DVU -Aufkleber in Telefonzellen, auf Schildern und an Bushaltestellen. Noch reagieren die meisten PivitsheiderInnen nur widerwillig darauf, daß der Ort nun ein Problem mit fester Adresse hat: Quellenstraße 20. „Mir sind die doch egal, wenn die mich in Ruhe lassen“, meint der Getränkehändler an der Augustdorfer Straße, nur einen halben Kilometer vom Tanneneck entfernt. Ihn stört vor allem, „daß die Polente jetzt hier doppelt und dreifach Streife fährt“.

Ja, da hätte was über diese Neonazis in der Zeitung gestanden, aber mehr wisse sie nicht und wolle auch gar nicht mehr wissen, meint die Tankwartin. Und für den Inhaber des An- und Verkaufs an der Hauptstraße sind die neuen Mitbürger überhaupt kein Problem: „Ich wohne in Detmold.“ Außerdem dürfe man „die Leute nicht vorverurteilen, man muß sich erst erkundigen.“ Heute abend im Eichkrug allerdings ist der Mann nicht zu sehen. Hier sind die anderen PivitsheiderInnen. Der Fleischermeister ist da, die Hausfrau, die sonst mit Politik „nichts am Hut“ hat, KommunalpolitikerInnen aus allen Fraktionen und viele Jugendliche. Bereits am 6.Januar haben die, so ein Ratsherr, zunächst „so netten jungen Leute“ den Kaufvertrag unterschrieben, die schon eine Weile leergestanden hatte. Ein „Speiselokal für gehobene Ansprüche“ wollten sie eröffnen. Die Stadt war froh, das Tanneneck bot keinen schönen Anblick. Der ehemalige Besitzer hatte bereits Kaufangebote ausgeschlagen.

Erst als sich ein gewisser Meinolf Schönborn im Detmolder Bauordnungsamt als „Bauleiter“ vorstellte und umfangreiche Um- und Anbauten beantragte, kam die Wahrheit über das Lokal für gehobene Ansprüche ans Licht. Schönborn kaufte im Juli 1986 im nahegelegenen Bielefeld das Haus Nr.143 in der Bleichstraße, das seitdem als Neonazi-Zentrum bundesweit Schlagzeilen macht. Hinter dem „Bauleiter“ vom Tanneneck, selbsternannter „Generalsekretär“ der Nationalistischen Front (NF), die er 1985 in Steinhagen bei Bielefeld gründete, stehen fünf weitere, zum Teil altgediente NFler: Andreas Pohl, der als Stellvertreter Schönborns gilt und in Berlin die zweitgrößte NF-Gruppe anführt, Helmut Braun aus Heidelberg und Jens Lindlar aus Bielefeld, beide, wie auch Pohl, im Bundesvorstand der Neofaschisten-Gruppe. Der schon seit Jahren in Detmold wohnende Steffen Hupka hat nun seinen Wohnsitz im Tanneneck angemeldet. Er tut sich durch Wehrsportübungen mit Jugendlichen im Lippischen hervor, gibt die NF-Schulungsbriefe heraus und gilt als einer der ideologischen Köpfe. Der fünfte im Bunde ist ein gewisser Petzold aus Berlin.

Schönborn und Neonazis aus der ganzen BRD haben ihr Haus in Bielefeld zu einer Festung ausgebaut. Von hier aus terrorisieren sie jetzt seit drei Jahren ihre Umgebung. Sie haben linke Läden, Kneipen und Jugendzentren überfallen, Morddrohungen gegen ihre Gegner losgelassen, Ausländer krankenhausreif geschlagen. Mit 100 Leuten feierten sie vor zwei Jahren Hitlers 98sten Geburtstag. Bundesweit bekannt machten sie sich mit der Zeitung 'Klartext‘, die Schönborn nach seinem Weggang von den Jungen Nationaldemokraten zum NF -Organ weiterentwickelte. Mit dem 'Klartext‘, der die sich selbst in die Tradition der SA sehende Ideologie der NF verbrät, werben NFler an Bielefelder Schulen.

Immer wieder schützte die Bielefelder Polizei die Neonazis vor GegendemonstrantInnen, die über Monate jeden Freitag Mahnwachen vor dem Haus veranstalteten. Ratsbeschlüsse und Resolutionen gegen das militante Treiben der Kühnen-nahen Rechten aus der Bleichstraße, die Kontakte zu FAP, DVU und auch NPD-Leuten aus der ganzen Republik unterhält, waren so zahlreich wie wirkungslos: weder die NF noch die FAP wurden bis heute verboten. Bitter registrierten AntifaschistInnen die durchweg milden Strafen für Randale, Körperverletzung, Meineid, Waffenbesitz und Verbreitung faschistischer Propaganda. Erst im August des letzten Jahres brachte eine gründliche Hausdurchsuchung im Zentrum Unruhe in die rechte Szene. Die Polizei fand nicht nur das übliche Material und eine „Abschußliste für Volksfeinde“, sondern auch detaillierte SympathisantInnen- und Mitgliederlisten.

„Wir wußten“, sagt Jochen Kollmer von der Nachbarschaftsinitiative gegen das Bielefelder Neonazi -Zentrum, „daß die Bielefelder Neonazis schon länger versuchen, auch außerhalb von Bielefeld Fuß zu fassen“. Im Herbst letzten Jahres mußte in Paderborn eine Kneipe, die als Nazi-Treff dienen sollte, nach Protesten wieder schließen. Auch auf frühere Versuche der NFler, Häuser anzumieten, waren Linke rechtzeitig aufmerksam geworden. In der Bielefelder Bleichstraße ist es ruhiger geworden, unter dem starken öffentlichen Druck haben sich die Neonazis in einen kleinen Kreis zurückgezogen.

„Wir haben immer gesagt: Nazis raus aus Bielefeld, aber daß sie nun nach Pivitsheide kommen, wollten wir natürlich nicht.“ Gelächter und Beifall im Eichkrug. Der Rat im SPD -regierten Detmold hat „empört über die Entstehung eines Neonazi-Zentrums in Pivitsheide“ die Verwaltung aufgefordert, den Neonazis die Kneipenlizenz zu verweigern und mit allen legalen Mitteln einen überregionalen Treffpunkt zu verhindern. Damit stünde der Detmolder Verwaltung ein zermürbender Kleinkrieg bevor. Monatelang drohten Schönborns Kameraden dem Bielefelder Bauamtsleiter telefonisch, sie würden ihn „umlegen“, wenn er ihnen weiter Schwierigkeiten mache. Der zuständige Sachbearbeiter konnte nur unter Polizeischutz die Umbauten im Haus Nr.143 kontrollieren.

In Pivitsheide versuchen Schönborn und seine Leute, dem öffentlichen Druck zuvorzukommen. Schon zieht sich ein zwei Meter hoher Zaun halb um ihr für Wehrsportübungen und Sonnenwendfeiern optimal gelegenes, etwa einen Hektar großes Waldgelände. Für einen Lagerplatz haben sie Bäume und Unterholz gerodet und SpaziergängerInnen daran gehindert, die Waldwege, die über ihr Grundstück führen, zu benutzen. An den Wochenenden parkten Autos „mit Kennzeichen quer durch die ganze BRD“ auf dem Tanneneck-Parkplatz. „Wenn ich wüßte,“ sagt jetzt ein schüchterner Mann ins Mikrophon, der selbst in der Quellenstraße wohnt und an der Hauptstraße eine Tankstelle betreibt, „daß einer von denen bei mir tanken will, dann würde ich ihn wegjagen. Niemand hier dürfte denen was verkaufen.“ - „Wir werden einen langen Atem brauchen“, meint auch der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins in Pivitsheide. „An dem Hauskauf ist jetzt nichts mehr zu ändern.“ Trotz der großen Versammlung im Eichkrug bleibt er nüchtern: „Politik zu machen, war in Pivitsheide noch nie leicht.“ Doch vorläufig schlagen die Wellen hoch. Für das Wochenende wird gerade unter viel Beifall der erste „Sonntagsspaziergang“ zum Tanneneck verabredet.

„Ja, ja, dann wird hier wohl einiges los sein demnächst“, hatte in der Quellenstraße eine alte Frau gesagt. Über vierzig Jahre wohnt sie schon hier. Und, mit einem nachdenklichen Blick auf das Tanneneck: „Wirklich schade, daß die jetzt das Haus gekriegt haben. Wir hatten hier immer so eine nette Nachbarschaft.“