DGB zählte 610.000 beim Tag der Arbeit

■ 1.Mai im Zeichen von Kritik an der Bundesregierung und Forderung nach einem sozialen Europa / Steinkühler macht Bonn für Erfolge von Rechtsradikalen verantwortlich / Am Nachmittag gab es traditionelle Randale im Berliner Stadtteil Kreuzberg

Frankfurt/Berlin (ap/taz) - Rund 610.000 Menschen sind nach DGB-Zählung am Montag bei meist strahlendem Sonnenschein dem Ruf der Gewerkschaften zu den traditionellen 1.-Mai -Kundgebungen gefolgt, die in diesem Jahr zum 100. Mal stattfanden. Die Gewerkschaftsführer verlangten weitere Kurskorrekturen in der Bonner Regierungspolitik und die Schaffung eines sozialen Europas. Arbeitgeber und Vertreter der Bundesregierung sprachen dagegen von einem stabilen Wachstumskurs und einer steigenden Zahl von Arbeitsplätzen.

Im Berliner Bezirk Kreuzberg beging man den 1.Mai mit dem üblichen Ritual: Bereits in der Nacht zuvor wurde ein seit Jahren leerstehendes Haus in der Oranienstraße besetzt, die anrückende Polizei wurde von etwa 300 vermummten Jung -Kreuzbergern mit Steinen, Brandsätzen und Barrikaden auf Abstand gehalten. Im Verlaufe der etwa dreistündigen nächtlichen Auseinandersetzungen warfen die jungen Menschen Scheiben ein und plünderten einen Supermarkt sowie einen Getränkeshop. 16 Leute wurden festgenommen, drei davon mußten auf richterliche Anordnung bis heute früh im Polizeigewahrsam bleiben.

Auch die „revolutionäre“ Mai- Demonstration durch Kreuzberg und Neukölln gestern nachmittag, zu der eine Reihe autonomer und radikaler Gruppen aufgerufen hatten, (Parole: „Es gibt keine Alternative zur Revolution“) war von Randale begleitet. Am Rande der Strecke wurden Schaufensterscheiben eines Kaufhauses, von Spielhallen und einer Telefonbaufirma von Vermummten eingeworfen. Bei Redaktionsschluß standen die Zeichen weiter auf Randale. Die Polizei, die sich wie in der Nacht zuvor zurückgehalten hatte, hatte bei Redaktionsschluß auf dem Kundgebungsplatz jede Menge Beamte zusammengezogen. Die anfänglich friedliche Stimmung bei der Demonstration, an der auch viele Eltern mit kleinen Kindern teilnahmen, drohte zu kippen.

Auf der zentralen Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Recklinghausen warf der DGB -Vorsitzende Ernst Breit der Bundesregierung vor, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gescheitert zu sein. Breit forderte vor rund 10.000 Menschen erneut ein milliardenschweres Investitionsprogramm. Die Gesundheitsreform habe sich als bloßer „Griff des Gesetzgebers in die Geldbörse der Versicherten“ entpuppt.

In Duisburg rief der Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, vor rund 10.000 Menschen zur Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche überall in Europa auf. Er mahnte: „Die zweite Demokratie auf deutschem Boden, diese Bundesrepublik, darf nicht zum Spielball des internationalen Kapitals und nationalistischen Rattenfängern werden.“ Steinkühler verwies auf die jüngsten Wahlerfolge der Rechtsradikalen und machte Bonn verantwortlich: „Anhaltende Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Wohnungsmangel, staatliche Preistreiberei und soziale Demontage - das sind heute die objektiven Grundlagen des politischen Protestes.“

Der IG-Metall-Vorsitzende erinnerte an die nationalsozialistische Machtübernahme und rief zur Integration der Ausländer auf. Steinkühler sagte: „Der Grundkonflikt in dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung läuft nicht zwischen Deutschen und Ausländern, sondern zwischen Kapital und Arbeit.“