Merkwürdige Demonstration in Bonn

Fast 10.000 bei einer Hungerstreik-Demo im Zeichen der Toleranz / Polizei und Grenzschutz im Notstandseinsatz  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Liebe und Kraft für die Gefangenen!“ und: „Power durch die Mauer, bis sie bricht!“ - Fast 10.000 Menschen demonstrierten am Sonnabend in Bonn für die Zusammenlegung der Hungersteikenden, begleitet von einem gigantischen Polizeiaufgebot.

Es war eine merkwürdige Demonstration, in vielfacher Hinsicht. Gekommen waren mehr, als manche nach den vorausgehenden Streitereien befürchtet hatten. Dennoch war „die Szene“ weitgehend unter sich: Autonome vor allem, andere radikale Linke, einige wenige Christengruppen. Viel Vermummung, doch wenig Leder - kämpferisch, doch diszipliniert: Eine derart ordentliche Demonstration hat Bonn bisher kaum gesehen. Selbst der Platz der Abschlußkundgebung wurde besenrein hinterlassen, die Zigarettenkippen einzeln aufgelesen. Die Stimmung dieses Aufzugs prägten nicht politische Parolen für die RAF - wie das altbekannte „Es gibt kein ruhiges Hinterland“ -, sondern die emotionale und moralische Unterstützung der Hungerstreikenden. „Wärme und Sonnenschein“ schickten die Sprecherinnen des autonomen Frauenblocks in den Knast, bis zum Augenschlitz in Palästina-Tüchern vermummt. Die Stimmung der Fortsetzung auf Seite 2

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überwiegend sehr jungen TeilnehmerInnen mag ein Redner von der Kreuzberger Jesuitenkommunität am besten getroffen haben. Er wandte sich bei der Auftaktkundgebung gegen „unsere gefangennehmende Gesellschaft“, gegen eine Gesellschaft der Ausgrenzung und Ausweisung, die nicht nur bei den Hungerstreikenden mit Menschenleben pokere. Die Christen seien aufgerufen, „die Befreiung der Gefangenen zu verkündigen“. Und das hieße, so der Jesuit, „notfalls bereit sein, selbst Gefangener zu werden“.

Toleranz war gefragt an diesem Sonnabend. Ungeschoren blieb ein einsamer Gegendemonstrant an der Spitze des Zugs, mit seinem Pappschild am Fahrrad: „Keine Zusammenlegung!“.

Keine Spaltung zwischen politischer und humanitär motivierter Unterstützung der Hungerstreikenden: Das war die politische Aussage, wie sie sowohl der Vorsitzende des Republikanischen Anwaltsvereins, Wieland, wie auch Gefangene selbst formulierten. Rechtsanwalt Wieland nannte die Auseinandersetzungen im Vorfeld der Demonstration ein „Affentheater“. In einer Grußadresse bezeichnete die Inhaftierte Eva Haule die bisher erreichte Öffentlichkeit als „ersten Sieg in diesem Kampf“ nach den „elend langen Jahren“. Christian Klar erinnerte in einer Erklärung daran, daß das Aussetzen des Hungerstreiks von Eckes und Dellwo „den Raum für einen Kompromiß aufgemacht“ habe und den „Protagonisten der harten Haltung“ Gelegenheit geben sollte, „ihr armes Prestigeproblem zu überdenken“. Wenn es nun nicht zu einer „qualitativen Bewegung des Machtapparats“ komme, „kämpfen wir uns durch diese Mauer: Unser Leben gegen die Isolierung im Beton“.

Der Machtapparat demonstrierte in Bonn seine Potenz. Die Polizei nahm ihre Ankündigung wörtlich: „Stärke zeigen“. Nach inoffiziellen Angaben waren 4.000 Polizisten in Bonn zusammengezogen, die ebenfalls hier massierten Bundesgrenzschützer sind dabei vermutlich noch nicht mitgerechnet. Denn morgens verlautete bereits aus Polizeikreisen: „Wenn es ernst wird, sind wir eins zu eins.“