Eine Herausforderung für Rot-Grün

■ Interview mit Christian Ströbele vom Vorstand der AL zu den Krawallen in Kreuzberg / „Auch ein AL-Senator hätte nichts anderes machen können“ / Praktische Politik soll zeigen, daß Rot-Grün anders ist als der vorhergehende Senat

taz: Mit welchen Kräften hättest du denn gestern als Innensenator den Krawall in Kreuzberg verhindert?

Christian Ströbele: Gestern hätte schon einiges anders gemacht werden können, aber ich glaube nicht, daß es eine Polizeitaktik gegeben hätte, die das an diesem 1. Mai hätte verhindern können. Im wesentlichen hätte ein AL-Senator nichts anderes machen können. Die Ursachen liegen viel weiter zurück. Wenn über Jahre die Polizei aufgerüstet wird, sie eskaliert, dann hat sie bei den Leuten in Kreuzberg ein Image, das nicht von einem Monat auf den anderen beiseite gewischt werden kann.

Ihr könnt als Regierungspartei die Kreuzberger Bevölkerung also vor solchen Auseinandersetzungen nicht schützen?

Kewenig und Lummer konnten die Kreuzberger Bevölkerung mit ihrer Eskalations- und Aufrüstungspolitik auch nicht vor solchen Auseinandersetzungen schützen. Wir müssen das erst lernen. Wir stellen uns ja vor, daß das Verhältnis der Berliner Bevölkerung, der Kreuzberger, zur Polizei ein ähnliches werden soll, wie es das der Londoner seinerzeit zu den Bobbys war, als die noch unbewaffnet waren. Man muß unter anderem durch solche Einsätze, wie in den letzten Wochen, zeigen, daß die Polizei anders auftreten kann. Ähnlich wie in der Raketenabrüstung muß man versuchen, durch einseitige Maßnahmen Vertrauen zu gewinnen. Ich habe natürlich selber nicht erwartet, daß die Auseinandersetzungen so schlimm werden.

Was sind denn für dich als Politiker die Konsequenzen?

Wir haben die Sache etwas schleifen lassen. Wir müssen durch ganz praktische Politik zeigen, daß rot-grüne Politik etwas anderes ist als die des vorherigen Senats. Mir ist es in diesem Zusammenhang völlig unverständlich, wieso man die Umweltkarte erst im Oktober einführt. Wir müssen einfach lernen: Die Leute, vor allem in Kreuzberg oder Moabit, wollen schnell sehen, daß sich politisch tatsächlich etwas ändert.

Glaubst du wirklich, die Autonomen Alkoholiker in Kreuzberg interessiert die Umweltkarte tatsächlich?

Nein, ich glaube nicht, daß die Leute, die in Kreuzberg Autos anstecken, sich dadurch davon abhalten lassen.

Hat das, was da passiert ist, inklusive der Plünderungen, überhaupt noch irgend etwas mit linker Politik zu tun?

Doch. Natürlich hat es das. Aber man muß auseinanderhalten. Wenn bei solchen Auseinandersetzungen etwa Fensterscheiben eingeschmissen werden, dann gibt es immer Leute, die etwas ganz anderes im Kopf haben. Die wollen das Bier, den Schnaps oder was da gerade in dem Laden herumliegt. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren ist an diesem 1.Mai ganz bewußt versucht worden, den Staat und die Repräsentanten dieses Staates, also Rot-Grün, herauszufordern, zu zeigen, daß dieser Senat keine Perspektive hat und grundsätzlich nichts anderes ist, als der vorherige von CDU/FDP.

Du hast ja immer versucht, den Papa der Koalition und gleichzeitig auch den Papa der Linksradikalen zu spielen. Bist du damit gescheitert?

Papa der Linksradikalen ist genauso falsch, wie Papa der Koalition. Ich kenn‘ halt Leute aus der Szene zum Beispiel aus meiner Tätigkeit als Verteidiger, und mit denen unterhalte ich mich und von denen weiß ich auch, daß eine ganze Reihe von ihnen überrascht war vom Auftreten der Polizei. Die erklärten, zumindest, solange ich da war, daß man nicht sagen kann, die Polizei hat provoziert oder trifft Schuld an den Ereignissen. Ich glaube da kommt ein Lernprozeß in Gang. Die Leute müssen sich doch überlegen ob es besser ist, diesen Senat durch noch ein paar solche Dinger zu stürzen oder in solche Schwierigkeiten zu bringen, daß es nicht mehr weitergeht und dann wieder die alte Regierung mit Kewenig, Lummer oder vielleicht sogar den Republikanern kommt, oder ob man bei der Deeskalationspolitik weitermacht.

Es kann doch keine politische Perspektive für euch sein, darauf zu warten, daß auch in Kreuzberg diese Mischung aus Autonomen und Alkis daran denkt, einen kleinen Lernprozeß zu machen und zu begreifen, daß die Rückkehr von Kewenig und Lummer keine Perspektive sein kann...

Ich sage ja, unsere politische Perspektive muß sein, daß Rot-Grün möglichst noch vorm Sommer ein paar politische Punkte macht, rot-grüne Koalitionsvereinbarungen umsetzt. Nur so kann man etwas ändern. Ob die Polizei nun so oder so eingesetzt wird, das wird uns jedenfalls nicht die Änderung des politischen Klimas bringen.

Letztlich sagst du ja damit, die Aussage, ohne Bullen kein Krawall, stimmt nicht mehr.

So war dieser Satz nie richtig. 1987 und 1988 spielten Polizeiprovokationen und das Herbeireden von Gewalt eine erhebliche Rolle. Das war gestern nicht der Fall, zumindest nicht, solange ich da war. Aber es hat auch früher schon gewaltsame Aktionen gegeben, wo die Polizei nicht der Auslöser war.

Ist irgend etwas an deinem politischen Weltbild in dieser Nacht zerbrochen?

Nein. Mir war immer klar, daß es zu so etwas kommen kann, vor allem, wenn Rot-Grün erst ein paar Tage alt ist.

Interview: Max Thomas Mehr