Gewaltausbruch kam unerwartet

■ Der Senat will bei seiner Strategie der Deeskalation bleiben / Polizeipräsident weist Kritik aus Polizeikreisen zurück / CDU fordert vorläufige Suspendierung von Pätzold

Nach dem langen Tag und der langen Nacht in Kreuzberg war gestern der Tag der stundenlangen Beratungen. Über drei Stunden lang steckte der Senat die Köpfe zusammen, um zunächst sich selber und dann der Presse zu erklären, was eigentlich passiert war. Kaum war die Pressekonferenz beendet, zog sich der Fraktionsvorstand der SPD zu einer ebenfalls stundenlangen Sitzung zurück, um weiter über das Thema Gewalt in Kreuzberg zu debattieren.

In einem waren sich die Vertreter des Senats, der Polizeipräsident, die Fraktionsvorsitzende der AL und der Bezirksbürgermeister von Kreuzberg gestern einig: Das Ausmaß von Gewalt war nicht vorherzusehen. Einmütig verurteilten alle die Ausschreitungen. Polizeipräsident Schertz äußerte sich enttäuscht darüber, daß bei der „Grundsatzüberlegung der Deeskalation“ das polizeiliche Gegenüber „dieses Angebot nicht angenommen“ hat. Die Kritik der Polizeigewerkschaften, die Polizei habe meistens untätig danebengestanden, teile er nicht. Teilweise sei es eben nur darum gegangen, das Leben der Beamten zu schützen. Lobend erwähnte Schertz eine Gruppe türkischer Jugendlicher, die einen von seiner Truppe getrennten Polizisten durch Umstellen vor weiteren Fußtritten und Schlägen von Demonstranten gerettet habe. Dem Polizisten wurde bei dem Überfall die Waffe entwendet. Die vierzehn stationär behandelten Polizisten konnten inzwischen alle wieder entlassen werden.

Walter Momper überlegte gestern laut, daß die Vorfälle wohl vor allem gegen die AL gerichtet waren, um sie als Teil des „Schweinesystems“ zu entlarven. Er nannte zwei Gruppen von Beteiligten an der Randale. Neben den Autonomen seien es vor allen Dingen Jugendliche gewesen, die schließlich mit in das Geschehen eingegriffen hätten. Alkohol habe dieses Mal keine Rolle gespielt. Heidi Bischoff-Pflanz, Fraktionsvorsitzende der AL, äußerte ihr Entsetzen über den „Haß der sehr vielen jungen Menschen“. Kritik am Polizeieinsatz habe sie nicht.

Die hatte die CDU-Fraktion um so mehr. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Klaus-Rüdiger Landowsky fordert deswegen schnellstmöglichst eine Klärung des Einsatzkonzepts auf einer Innenausschußsitzung am Freitag. Bis dahin solle der Innensenator von seinem Amt entbunden werden. Er kündigte auch einen möglichen Mißtrauensantrag an. Als Konsequenz müßten sämtliche besetzten Häuser geräumt, Spezialeinheiten der Polizei eingesetzt und die Koalitionsvereinbarungen von SPD und AL am Punkt Gewalt nachgebessert werden. Als Kronzeugen für seine Empörung führte Landowsky ausgerechnet den Ex-Baustadtrat von Kreuzberg, Werner Orlowsky, an. Den habe er nämlich am Vormittag auch ganz verärgert über die „größten Krawalle in Kreuzberg“ auf dem Lausitzer Platz getroffen.

RiHe