Schrei nach Attenborough

■ Martin Stellmans „Für Königin und Vaterland“

Die Windschutzscheibe zersplittert. Lautlos fallen die beiden Männer aus dem Auto. Kurz bevor die MP-Salve Reuben durchlöchern kann, rettet ihm sein Freund Fish das Leben. Danach herrscht Stille. Straßenkrieg im miesesten Viertel Londons. Der schwarze Held Reuben gehört zu den vielen jugendlichen Underdogs aus den Trabantenstädten Londons, die ihre Hoffnungslosigkeit mit Alkohol, Diebstählen und nächtlichen Kneipengelagen betäuben wollen. Eine solche Sauftour haben die beiden Freunde Reuben und Fish gerade hinter sich, als sie um ein Haar Opfer eines IRA-Attentats werden.

Ihr Grölen und der Biergestank stehen noch im Wageninneren. Die Kamera dringt wieder in das Autowrack, sucht die verdreckten Autositze ab, findet Zigarettenkippen und endlich ein kleines Autoradio, aus dem versoffene Rockmusik dröhnt. Erschöpft versuchen die beiden Männer, sich gegenseitig zu stützen. An der Ecke steht ein Polizeiauto. Diesmal zielen die Polizisten auf sie: „Halt, wir gehören doch zu euch“, schreit Fish.

Szenenwechsel. Neun Jahre später kehrt Reuben aus dem Falkland-Krieg in die Siedlung zurück, in der er aufgewachsen ist. Fish hat während des Kriegs ein Bein verloren und siecht in einer Sozialwohnung dahin. Reuben wird als Schwarzer diskriminiert. Er verliebt sich und will weg, nach Paris. Schönes sehen, seine ramponierten Träume heilen. Aber statt ins Pariser Flair verfällt Reuben in tiefe Depression.

Arbeitslosigkeit, drogenabhängige Kinder, korrupte Polizisten und alleinerziehende Mütter - keine Variante der Sozialkritik bleibt uns in diesem Film erspart. Realdokumentation verdichtet sich plötzlich zu futuristischen, unterirdischen Massenaufläufen, zarte Methaphern werden von brutalen Kriegsszenarien erdrückt. Neben dem Hauptdarsteller aus der Apartheitsschnulze Schrei nach Freiheit, Denzel Washington, hat Regisseur Martin Stellman Richard Attenboroughs oberflächliches Pathos übernommen. Nur hatte er nicht die Mittel, um den Eiterbeulen, in denen er so unermüdlich stochert, Authentizität zu verleihen.

Als Reuben seinen Paß erneuern will, teilt ihm die Regierung mit, daß er, der Falkland-Veteran, nach dem neuen Einwanderungsgesetz kein britischer Staatsbürger mehr ist und daher auch kein Recht auf einen britischen Paß hat. Eine beklemmende Szene: Reuben steht einfach da und nimmt hin.

Was folgt, zerstört nicht nur dieses Bild, es macht den Film zu einer Qual. Die Underdogs formieren sich zum letzten Kampf. Untertage. In einem Kanalschacht sammeln sie Waffen. Der Haß auf die, die dem Elend entkommen sind, auf die Aufsteiger, ist ebenso apokalyptisch, wie der Krieg, der folgt. Polizisten erschießen Kinder, im totalen Krieg metzeln sich die Freunde von früher gegenseitig nieder. Fish schreit, „Hört auf, wir gehören doch zu Euch.“ Er wird erschossen. Der Sience-fiction wird zum Western. Spiel mir das Lied vom Tod. Reuben beugt sich über den sterbenden Freund. Der letzte Blick verspricht: „Ich werde dich rächen.“ Reuben holt sein Maschinengewehr. Marschmusik. Durch ein Zielfernrohr sehen wir seinen Kopf. Schuß.

Bettina Bausmann

Martin Stellman: Für Königin & Vaterland, mit Denzel Washington, England 1988, 105 Min.