Rushdie auf der Flucht

■ Ab und zu taucht der verfolgte Autor Salman Rushdie in der Öffentlichkeit auf

Seit über zehn Wochen ist Salman Rushdie auf der Flucht. Alle drei Tage wechselt der britische Schriftsteller, der vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini mit dem Tode bedroht wird, seinen Wohnsitz. Mal, so heißt es, findet er in der Metropole London neuen Unterschlupf, mal irgendwo auf dem Lande. Rund um die Uhr sind Polizisten in der Nähe wo auch immer Rushdie und seine Frau, die amerikanische Autorin Marianne Wiggins, sich gerade aufhalten.

Nur für kurze Zeit fühlte sich der 41jährige Schriftsteller sicher, als er am Mittwoch voriger Woche an einer Dinner Party mit Professoren der Universität Oxford teilnahm. Auf Anraten der Sicherheitskräfte mußte Rushdie die Party fluchtartig verlassen, weil man in der Nähe des Gebäudes moslemische Studenten gesichtet hatte. In einem schußsicheren Polizeifahrzeug wurde er an einen unbekannten Ort gebracht.

Die öffentliche Debatte über Rushdies umstrittenen Roman Die satanischen Verse mag zur Zeit auch etwas verebbt sein, doch der aus Indien stammende Autor kommt dennoch nicht mehr zur Ruhe. Der Fluch Khomeinis ist unauslöschlich. Es sei denn, der greise islamische Religionsführer entscheide sich für eine Begnadigung und ließe von dem Vorwurf ab, der Autor habe mit seinen Satanischen Versen nicht nur den Propheten Mohammed beleidigt, sondern auch Unrecht an allen Moslems dieser Welt begangen.

Mitte Februar hatte der Ayatollah das „Todesurteil“ verhängt. Er hob es auch nicht auf, als sich der Autor und sein Verlag Viking-Penguin (London) öffentlich entschuldigten. Der zum Vogelfreien erklärte Autor hat mit seinem Bestseller inzwischen nach Schätzungen britischer Zeitungen zwar Millionen verdient, doch dafür ist er zum Gehetzten geworden. Allein in Italien sind inzwischen fast 200.000 Exemplare der Satanischen Verse verkauft worden, und in den angelsächsischen Ländern dürfte es ein Mehrfaches sein. Aber konkrete Angaben darüber will Viking-Penguin nicht machen.

Manches deutet inzwischen daraufhin, daß Rushdie offenbar entschlossen ist, sich nicht unterkriegen zu lassen. So hat er sich zum Beispiel bereit erklärt, in einem Film des kanadischen Fernsehens Auszüge aus seinem umstrittenen Roman zu lesen und Stellung zu der ganzen Affäre zu beziehen. Kein britischer Fernsehsender hat den Halbstunden-Beitrag bisher allerdings gekauft, denn die Angst vor iranischen Racheakten ist groß.

Wie es mit Rushdie weitergehen wird, wagt niemand vorauszusagen. In einer Londoner Zeitung wurde spekuliert, daß er eventuell unter neuer Identität in der Schweiz Unterschlupf finden könnte. Im britischen Oberhaus wurde unterdessen die Forderung laut, Rushdie solle sich angesichts seiner Millionen-Einkünfte an den Kosten beteiligen, die für seine Bewachung aufgewendet werden müssen.

Der Verlag dagegen verdient vermutlich vergleichsweise wenig an den Satanischen Versen. Auf ein Jahr hochgerechnet, sollen allein die Sicherheitsvorkehrungen in den weltweit 17 Viking-Penguin-Niederlassungen rund sechs Millionen Mark kosten. Und für Buchhandlungen kann es weiterhin ein Risiko sein, den Roman zu verkaufen. Brandanschläge auf zwei Geschäfte in London hat es bereits gegeben, nachdem zuvor Drohbriefe eingetroffen waren. Die renommierte Buchhandlung Blackwell's in Oxford verkauft das Rushdie-Werk seither nur noch „auf besondere Bestellung“ und unter dem Ladentisch.

Barbara Weber ('dpa‘)