Vergewaltigungsopfer auf der Anklagebank

Im zypriotischen Famagusta begann der Prozeß gegen Ute und Melanie Loh / Die Frauen hatten in Notwehr Vergewaltiger der Tochter erwürgt / Mordanklage jetzt auf Antrag der Verteidigung fallengelassen / Gespannte Atmosphäre im Gerichtssaal  ■  Aus Famagusta K. Hillenbrand

„Sie trieben zweimal Sex miteinander“, gibt der Arzt zu Protokoll, der den toten Özmen Tulga als ersten untersucht hat. Dann doziert er ausführlich über die Verletzungen des Opfers: Wundstellen im Gesicht, Blut- und Wundstellen an den Genitalien, der Hals durch einen Gürtel stranguliert. Grinsend berichtet der Arzt von dem Wunsch der angeklagten Frauen, den Toten auf Aids untersuchen zu lassen. „Der Mann ist tot. Wie können Sie garantieren, daß Sie vorher kein Aids hatten?“ fragt er. Der Staatsanwalt sekundiert: „Hatte die Angeklagte den Penis freiwillig im Mund oder nicht?“ Keine Antwort.

Die Angeklagten sind die 48jährige Berliner Lehrerin Ute Loh und ihre 20jährige Tochter Melanie: Beschuldigt des gemeinschaftlichen Mordes und Totschlags an dem türkischen Zyprioten Özmen Tulga. Die beiden Frauen sitzen leicht erhöht an der rechten Seite des holzgetäfelten Gerichtssaals. Nach Darstellung der beiden Frauen geschah ihre Tat in Notwehr. Der 20jährige Tulga sei in das Zelt der beiden Urlauberinnen eingedrungen, habe die Mutter niedergeschlagen und die Tochter vergewaltigt. Als Ute Loh wieder zu Bewußtsein kam, sei es zu einem Kampf gekommen, in dessen Verlauf der Mann erdrosselt worden sei. Seit Ende März sitzen beide Frauen in U-Haft, zuerst in Famagusta und jetzt im Zentralgefängnis von Nikosia. Blaß und erschöpft, aber aufmerksam verfolgen sie das Verfahren.

Die Vergewaltigung steht am ersten Tag des Prozesses nicht auf der Tagesordnung. Es geht um Mord und Totschlag. Ein Polizeisergeant ist der erste Zeuge. Er berichtet über die Einzelheiten beim Auffinden der Leiche. Der Gerichtsdiener kramt lange in einem Papiersack und bringt dann einen braun -grünen Stoffgürtel zum Vorschein: das Tatwerkzeug. Die Stangen des Zelts werden ausgepackt, aus einem Kartoffelsack erscheint die Zeltplane, die auf dem Boden des Gerichts ausgebreitet wird. Ein zerfetztes blau-weißes T-Shirt, weiße Turnschuhe, ein paar Geldscheine und eine Brieftasche: die Indizien. Eine Karte wird herumgereicht, die der Polizist vom Tatort fertigte. Am Strand von Yeni Erenkoey, im wenig besiedelten Nordosten Zyperns, bauten die Berlinerinnen ihr Zelt auf. Der Platz lag etwa zwei Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Hier geschah die Vergewaltigung, hier starb Özmen Tulga.

Im Gerichtssaal wird es unruhig. Mehmet Haci Sevki, der Übersetzer, ist offensichtlich überfordert. Manche Angaben übersetzt er falsch. Kommen Staatsanwalt und Richter Mustafa Ozkoek in einen Disput, hört die Übersetzung ganz auf. Sein Flüsterton dringt kaum bis zu den ersten Zuschauerbänken, wo Besucher aus Berlin, darunter die Frauensenatorin Anne Klein, Platz genommen haben.

Die Atmosphäre ist aufgeladen. Auf den Bänken der Zuschauer sitzen 'Bild'- und 'BZ'-Reporter, der Bruder von Ute Loh, eine Freundin der Frauen, die örtliche Presse, Bewohner von Yeni Erenkoey und männliche Laufkundschaft, nach Sex und Crime dürstend. Das Durcheinander bei der Pause nutzt ein deutscher Fotograf, um sich an die Opfer, die Angeklagten, heranzuschleichen. Doch die wehren sich. „Keine Fotos!“ ruft Ute Loh erregt. Der Reporter wird von Gerichtsdienern und Polizei hinausgeworfen.

Die anwesenden Zyprioten haben unterschiedliche Meinungen zum Geschehen. Aber daß Özmen Tulga eine der Frauen vergewaltigt hat, steht für die meisten fest. „Der Junge ist schuld“, meint denn auch ein junger Mann. Öfter ist jedoch zu hören: Das Ganze sei „schlecht für das Dorf, schlecht für den Tourismus“.

„Es ist gut, daß ich hier bin“, meint Frauensenatorin Anne Klein. Sie agiert unauffällig, ohne großen Bahnhof. Anne Klein hat „Sympathie bei vielen ortsansässigen Menschen“ für die angeklagten Frauen festgestellt. Sie hatte ein langes Gespräch mit den Anwälten, deren Strategie sie lobt. Insgesamt fühlt sie sich „sehr freundlich aufgenommen“. Ob ihr Engagement letztlich den beiden beschuldigten Berlinerinnen helfen wird, vermag heute noch niemand zu sagen.

Eine Ärztin vom Zentralkrankenhaus in Nikosia, zuständig für Autopsie, sagt aus. Die Todesursache steht fest: Sauerstoffmangel in der Lunge durch Blockierung der Atemwege.

„Die Angeklagten führten mich selbst zu der Leiche“, bezeugt ein Dorfbewohner. Die Frauen hätten geglaubt, den Mann noch retten zu können - eine Aussage, die konträr zu dem Mordvorwurf steht. Nach dieser Aussage zieht sich das Gericht - wieder einmal - zur Beratung zurück. Nach zehn Minuten steht fest: Auf Antrag der Verteidigung wird der Anklagepunkt „Mord“ fallengelassen.

Erleichterung bei den beiden angeklagten Frauen, bei den Verteidigern Sefika Durburan und Ali Dana und den Prozeßgästen aus Berlin. Jetzt geht es - „nur noch“ - um Totschlag. Der Prozeß wird nach einer kurzen Unterbrechung am kommenden Dienstag fortgesetzt. Mit der Urteilsverkündung ist für Freitag in einer Woche zu rechnen.