Tjibaou ermordet

Die neukaledonische FLNKS verlor ihren Führer  ■  Aus Paris Georg Blume

Selten begegnete mir ein so frei sprechender, direkt antwortender Politiker. Vor sechs Monaten erklärte er mir: „Es gibt Leute, die können schön reden, aber wenn man dann von Aktion redet, und wenn einem die Kugeln um die Ohren sausen...“ - dann blieb den Kanaken immer noch ihr Sprachrohr und Führer Jean-Marie Tjibaou. Gestern wurde er ermordet, womöglich von eigenen Landsleuten.

„Ein schwerer Schlag für Frankreich und den Frieden“, bemerkte der Kommentator des französischen Staatsradios „France-Inter“ zum Attentat auf Tjibaou. Damit es soweit kommen konnte, daß nämlich der Kanaken und ihres Führers ärgster Feind, die Kolonialmacht Frankreich, dessen Tod beklagt, dazu brauchte es wahrlich die ganze Ruhe, die ganze Geduld und die unendliche Dialogbereitschaft von Jean-Marie Tjibaou. Er war der erste und bisher einzige Vorsitzende der 1984 gegründeten sozialistischen kanakischen Befreiungsfront FLNKS. Nach 150 Jahren französischer Kolonialherrschaft besannen sich die Ureinwohner Neu-Kaledoniens, dieser kleinen, rohstoffreichen Insel im Südpazifik, mit der FLNKS und Jean-Marie Tjibaou erstmals auf ihre eigenen Interessen. Tjibaou führte die Verhandlungen - bis zu jenem historischen Handschlag mit dem politischen Führer der französischen Siedler auf Neu-Kaledonien, Jacques Lafleur, im vergangenen Juni in Paris. Tjibaou und Lafleur hatten mit dem damals frischgebackenen sozialistischen Regierungschef Rocard ein Abkommen ausgehandelt, demzufolge die Neukaledonier im Jahr 1998 in einem Inselreferendum über die Unabhängigkeit der Kolonie entscheiden.

Der Kompromiß, mit dem die zuvor oft von Gewalt beherrschte Insel seit einem Jahr friedlich lebt, hat Tjibaou gestern das Leben gekostet. Von politischen Gegnern Tjibaous aus den eigenen Reihen wußte man, doch nicht von solcher Gewalt im sonst so friedfertigen kanakischen Volk. Mit ihm starb sein Stellvertreter Yeiwene Yeiwene. Die FLNKS verlor damit ihre zwei wichtigsten Köpfe. Erst im November hatte die französische Nation mit einem Volksreferendum über die Zukunft der Kolonie abgestimmt - nun ist sie wieder ungewiß.