„Hinfällig“: Arafat-Wort macht Furore

Der Palästinser-Chef bezeichnet die PLO-Charta in Paris als überholt / Beifall aus Washington / Widerspruch aus den eigenen Reihen / Rituelle Ablehnung aus Israel / Pro-und-Contra-Demonstrationen in Paris  ■  Aus Paris Georg Blume

Yassir Arafat erntet nur noch in den eigenen Reihen Widerspruch. Bei seinem gestern beendeten Besuch in Paris erklärte der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation, die Charta der PLO aus dem Jahr 1964 sei „hinfällig“. Sogar in Washington wurde diese Erklärtung mehr oder weniger herzlich begrüßt. Angesichts der spektakulären Auftritte Arafats in der französischen Hauptstadt konnte Israels Ministerpräsident Jizchak Schamir nur noch auf Durchzug stellen. Er sprach von einer „neuen Lüge“ Arafats, die „kein Gewicht hat“. „Fortschritte“ in der palästinensischen Position sieht derweil die israelische Arbeiterpartei. Dagegen hackten die radikalen Flügelgruppen der PLO auf ihren Vorsitzenden ein, der wohl „eine neue Organisation gründen wolle“.

Ein kleines, mit politischer Finesse gewähltes Adjektiv auf den Lippen Arafats hatte schon am ersten Tag des ersten französisch-palästinensischen Gipfeltreffens den diplomatischen Nahostrummel auf Hochtouren gebracht. „Caduque“ - zu deutsch: „hinfällig“ - radebrechte Arafat in gebrochenem Französisch vor Millionen Fernsehzuschauern. Gemeint war genau sie: die PLO-Charta von 1964, eine Art Verfassungsschrift der Befreiungsorganisation. Dort stellte sich die PLO zur Aufgabe, den „Zionismus in Palästina zu eliminieren“, eine Aufgabe also, die mit der Existenz Israels nicht verträglich ist. Mit solch programmatischen Verpflichtungen will Arafat nun nichts mehr zu tun haben. Er wäre ja als Vorsitzender der PLO mit einem politischen Programm gewählt worden, lautete in Paris seine Begründung.

Tatsächlich ist die Beerdigung der PLO-Charta nur der folgerichtige Schluß aus der impliziten Anerkennung Israels durch das Exilparlament der PLO im November 1988, die Arafat drei Wochen später vor der UNO-Vollversammlung in Genf noch einmal bekräftigte. Der Griff ans heiße Eisen ermöglichte Arafat in Paris den diplomatischen Erfolg. Als sei ihm die Stadt von vornherein nicht freundlich genug gesonnen gewesen, begleitete Frankreichs Kulturminister Jack Lang den umstrittenen Gast am Fortsetzung auf Seite 2

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gestrigen Donnerstag noch unter die neugebaute Eingangspyramide des Louvre-Museums - gleichsam eine Danksagung Mitterrands für Arafats gelungenen Auftritt. Nach dem Staatspräsidenten hatte der französische Regierungschef Michel Rocard den Palästinenserführer am Mittwoch gleich zweimal empfangen und von Arafats „positiver Klar

stellung, die in Richtung des Friedens gehe“ gesprochen. Beachtung fand auch ein neuer Vorschlag Arafats. Danach könnte nun eine gemeinsame arabische Delegation unter Vorsitz Ägyptens für die von Arafat geforderte internationale Nahostfriedenskonferenz gebildet werden. Die israelische Regierung lehnte diesen Vorschlag umgehend als „lügnerisches Spielmaterial“ ab.

Angesichts des zunächst unerwarteten diplomatischen Aufsehen, das der Arafat-Besuch erregte, gerieten in Paris die Auseinandersetzungen auf der Straße in den Hintergrund. Annäherend zehntausend Teilnehmer waren den beiden Demonstrationsaufrufen - der eine für, der andere gegen den Empfang des PLO-Chefs - am Mittwoch abend gefolgt. Daß sich einer der bekannte

sten Fürsprecher Israels in Frankreich, der jüdische Schriftsteller Marek Halter, doch noch bereit erklärte, dem Palästinenserführer im Fernsehen seine harten Fragen zu stellen, zeugte zum Ende des Besuchs von einer Entkrampfung in der jüdischen Gemeinschaft Frankreichs.