Huchting auf Gerüchtesuche

■ Die Vorgänge um den 100. Geburtstag Adolf Hitlers in Huchting nachträglich im Beirat analysiert / Den Ausländerhaß im Stadtteil tunlichst verschwiegen

Wie entsteht ein Gerücht? Und wann wird ihm Glauben geschenkt? Zwei Stunden lang versuchte am Dienstag der Beirat Huchting zu rekonstruieren, wie es kommen konnte, daß der halbe Stadtteil an Hitlers 100. Geburtstag eine brutale Skinhead-Invasion gegen AusländerInnen erwartet hatte. Wie es passieren konnte, daß türkische Läden geschlossen und verängstigte Schul-und Hortkinder zu Hause geblieben waren? Daß deutsche Eltern nicht offensiv, sondern defensiv reagiert hatten.

Der Leiter des Schulzentrums Hermannsburg wußte über den Urspung des Gerüchtes zu berichten: Zu einem Schulfest am 6. April waren zwei bis vier Skinheads aus Delmenhorst angereist. Als 40 türkische Jugendliche das Auto der Skins demoliert und mit „Türken-Power“ verunziert hatten, hätten die Skins geschworen: „Das gibt Rache“. Die Huchtinger Polizei erhielt bereits eine Woche vor dem 20. April die ersten Anrufe ratloser Eltern und Lehrerinnen, die Skin -Aktionen befürchteten. Die Verunsicherung steigerte sich am Vortag je

nes 20. April rapide auf 250 Anrufe.

Spätestens am 18. April war das Gerücht bei allen Schulrektoren angekommen. Die Schulleiter reagierten unterschiedlich. „Am Willakedamm“ wurden beunruhigte Eltern beschieden, ähnlich wie bei „Unwetter“ liege es in ihrer Verantwortung, die Kinder zu Hause zu lassen. Der Rektor bat die SchülerInnen durch die Lautsprecheranlage, in den Pausen nicht nach draußen zu gehen. Am Schulzentrum Hermannsburg dagegen forderten LehrerInnen Eltern auf, ihr Kind in die Schule zu schicken und es bei Besorgnis zu begleiten und abzuholen. Die Leiterin eines Kindertagesheims (Dietrich -Bonhoeffer) empörte sich über einige Rektoren: „Im Grunde gibt es schulfrei, wenn Hitlers Geburtstag ist.“ Sie warnte davor, Skins als Feindbild aufzubauen: „Wenn Kinder jetzt jemand in hohen Doc Martens (Stiefeln) sehen, kriegen die Angst.“ Ein Vertreter der Schule Delfter Straße zog aus der Rekonstruktion des Gerüchte-Verbreitens den Schluß: „Es hätte also die Möglichkeit bestanden, einige

Tage früher etwas zu unternehmen. Es war ganz schlimm, daß die Türken an so einem Tag ganz alleine gelassen wurden.“

Nur im Kindertagesheim Robinsbalje hatten ErzieherInnen vor jenem 20. April nicht in der Defensive verharrt. Sie hatten zwei Plakate ins Fenster gehängt mit den Namen der deutschen und ausländischen Kinder. Daraufhin hatten jedoch deutsche Eltern energisch protestiert: Die beiden Plakate seien eine „Provokation“. Der Redner von der Schule „Delfter Straße“ forderte auf, sich für künftige Fälle Strategien zu überlegen: „Der zwanzigste April ist noch lange nicht vorbei.“

Im Fortgang der Sitzung ging es jedoch mehr Sündenböcke für die vergangene Gerüchteküche. Immer wieder wurde angeführt, „die Polizei“ und „die Medien“ seien Schuld an den Gerüchten, hätten das Klima angeheizt. Die beiden anwesenden Polizeibeamten erklärten entschieden: „Sie dürfen uns glauben, daß wir ein klein wenig Gerüchte einschätzen können“. Der Einsatzleiter: „Es hat kein Polizeibeamter einer tür

kischen Geschäftsinhaberin geraten, ihren Laden zu schließen.“ Der Einsatzleiter der Polizei war es auch, der die Frage aufwarf: „Warum entstand gerade in Huchting die Hysterie? Denn an Neustädter Schulen gab es ähnliche Gerüchte.“

An diese naheliegende Frage trauten sich die Huchtinger BeirätInnen und LehrerInnen jedoch nicht heran. Nur eine sozial engagierte Huchtinger Bürgerin, Helga Jansen, versuchte eine Antwort. Sie sprach von den vielen Jugendlichen auf Huchtinger Schulhöfen mit „DVU„-Aufklebern auf der Jacken. Von den tagtäglichen Belästigungen: „Es sind schon Kinder vom Fahrrad gerissen worden, weil sie 'links‘ aussahen. Ich weiß auch, daß eine kurdische Familie bereits aus dem Stadtteil weggezogen ist. Viele Deutsche im Stadtteil beklagen sich, daß sie keine Wohnung mehr finden: Der Haß auf Ausländer und Aussiedler ist groß. Vor kurzem sind zwei dunkelhäutige Mädchen von anderen Kindern in der Straße geschubst worden. Das gab es früher nicht.“

Barbara Debus