VOLKSBÜHNE ODER SO

■ „Hamlet und so“ im Kroll-Theater

Entschuldigen Sie, sagt der junge, dunkel gelockte Schauspieler auf der Bühne, die so schwarz und spärlich ausgestattet ist wie ein existentialistischer Lebensentwurf aus den späten fünfziger Jahren: Entschuldigen Sie. Verlegen blickt er in den spärlich besetzten Zuschauerraum, knatscht unsicher mit seinen Schuhen auf den Weltbrettern, sucht Wörter mit einem Blick gegen die Decke des Kroll-Theaters, über das alle zehn Minuten eine S-Bahn rattert. Entschuldigen Sie, aber das Stück kann nicht gegeben werden. Es mangelt am Bühnenbild, am supersymbolischen, alles erklärenden Bühnenbild. Wär's das damit gewesen - meinen Applaus hätte er sicher gehabt.

War's aber nicht. Jetzt ging der Abend erst richtig los; und daß er so beginnen würde, stand auch schon im Programmheft. Die Irritation ist vorangekündigt, daß provoziert werden will, zudem. Ich werde euch aufmischen, sagte die Eintrittskarte und macht die Provo so sicher wie das Amen in der Kirche und so originell wie die Straßenschlacht am 1.Mai. Schließlich: nur wo Nutella draufsteht ist auch Nutella drin, das Theater weiß, was Zuschauer wünschen an einem Samstag abend, zum Beispiel „die Interaktion zwischen Schauspieler und Publikum“ - ein Fehler, sich in die erste Reihe zu setzen. Den Service, dabei sein zu dürfen, wenn die Inszenierung es will, bekommt man zwar auch schon an jeder Off-Ecke und -Kante, aber hier werden höhere Scherze programmiert. Ein Überbau tippt sich brav in die Maschine: Das Durchbrechen der „vierten Wand“ verwandelt die gesellschaftliche Isolation des Theaters in eine Welt intimer Empfindungen. Sage noch einer, es gäbe nichts zu lernen an einem Abend im Theater. Wer hier was zu sagen hat, nimmt den Mund am besten so voll, daß der Zuschauer glaubt, kauen zu müssen.

Und zu sagen hat uns Udo Blickendorf-Reginka, der Monodramatist von Hamlet und so einiges: Nicht nur spielt er das abgesagte Stück nach, auch rast er mit Intercitygeschwindigkeit durch eine Schauspielervita, transformiert sich durch das gesamte Personal eines Lebenslaufes, eines Ensembles, eines Bühnenbildes und vergißt dabei nie, über das alles zu reflektieren. Da bleibt kein Gedanke über Theater trocken. Aber nicht zu intellektuell - es ist Samstag abend, beste Sendezeit: Ohnesorg wird positiv in Richtung Theaterwissenschaften gewendet, Heidi Kabel trifft Stanislawski. Und ein Schauspieler begibt sich auf die Suche nach dem Volk, um ein Volksschauspieler zu werden (Volksbühnen gibt es ja auch in Berlin, aber das Volk kommt da zum Theatertreffen erst gar nicht rein), ein Drama will sich den Leuten vermitteln gelacht werden darf. Aber mit Niveau. Aus der Ferne winkt der deutsche Kleinkunstpreis, wir lesen doch auch gute Bücher, und der Rest ist Readers Digest. Nur: mit dem Volk hat man sich verspekuliert. Fünf Sitze weiter dröhnt ein interaktiver Zuschauer abgehackt und wie auf Kommando; unvermutet und plötzlich bricht der Lacher mit vollem Karacho durch den S-Bahn-Bogen immer dann, wenn die Rede auf solch weltliche Dinge kommt wie Stuhlgang oder Kopulation und sich mit einem Wort wie Scheiße oder einem Hüftschwung a la Elvis the Pelvis ausdrückt. Der Vatertagsmännerwitz klinkt sich in die Vorstellung ein. So hat es Udo Blickendorf-Reginka denn doch nicht gemeint und nicht verdient.

Post scriptum: Wer wie ich, vom Hamlet im Titel angelockt wird, wird bitter enttäuscht werden. Kein Shakespeare bei Hamlet und so. Nicht traurig sein, dazu gibt das Leben schon genug Anlässe: Wenn wir geboren werden, weinen wir, daß wir auf diese große Narrenbühne gekommen sind (King Lear, Akt 4, Szene 6)

Höttges

„Hamlet und so“, heute und morgen jeweils 19.30, und am 13./14. Mai im Kroll-Theater, am S-Bahnhof Savignyplatz.