„In Tegel gibt es das nicht“

■ Gestern in der Tegeler Fußgängerzone: Bürgermeister Walter Momper zum Anfassen / Beim Thema „1.Mai“ verläßt den Regierenden der Charme / Manche Tegeler reden über Kreuzberg wie die „Blinden über die Farbe“

Unschlüssig blickt die blaubehütete Dame in den Menschenring, der sich vor der Bühne formiert hat. Heide Pfarr tritt das erste Mal mit der Tingeltangeltruppe auf, die unter dem Titel „Senat“ seit einigen Wochen die Fußgängerzonen der Stadt heimsucht. Zum „Anfassen“ präsentierte sich die junge Berliner Gruppe gestern nun in der Tegeler Fußgängerzone. Aber niemand will Heide Pfarr anfassen - bis sich eine Frau unter den Zuschauern ein Herz nimmt: „Kenne ich Sie nicht irgendwo her?“ - „Ja, ich bin die neue Bundessenatorin.“

Oben auf der Bühne verspricht unterdessen der pomadige junge Moderator, „auch die Ereignisse in Kreuzberg“ nicht auszulassen. Er hat die Achterbahn einfach in der Stimme: Steigen Sie ein, fahren Sie mit. Ex-Senator Harry Ristock tritt als erster auf. Dem Kreuzberger „Lumpenproletariat“ will er „härter auf die Finger schlagen“, aber das sei nicht unbedingt Parteimeinung. Dann trifft Walter Momper ein, zusammen mit Pfarr ist er eben aus London gelandet, im Gegensatz zu Ristock, der kam nur aus Ost-Berlin. Momper plaudert: Einen Blumenstrauß hat der Bürgermeister Maggie Thatcher mitgebracht. „Sie wissen, das macht sich bei Damen immer gut“, grinst der Regierende Bürgermeister, und Heide Pfarr schüttelt unten im Publikum indigniert den Kopf.

Auch das Publikum kann Momper mit dem Blumenstrauß nicht einwickeln. Als sich die Diskussion dem 1.Mai nähert, verläßt den Regierenden sein Charme. „Sie reden wie ein Blinder von der Farbe“, schnauzt er von der Bühne herab einen Anzug tragenden Herrn an, der sich immer wieder beschwert, daß die Polizei „tatenlos zugesehen“ habe. „Ich wohne in Kreuzberg, ich bin auch betroffen“, ruft Momper. Es gebe nun mal „keine einfache Lösungen“. Straftäter müßten festgenommen und verurteilt werden, wichtiger sei es aber, daß sich diese Leute in Kreuzberg „isoliert“ fühlten. Momper erläutert den Tegeler Bürgern die Kreuzberger Farbenlehre. Für die Randalierer dürfe es keinen Zuspruch anderer Kreuzberger Bürger mehr geben. Den habe Kewenig mit rigorosen Schritten, wie der Absperrung von SO36 aber provoziert. Und das „eigentlich Alarmierende“ seien die 14 oder 15 Jahre alten Jugendlichen, die sich beteiligt hätten

-„Kids, wie man in Kreuzberg sagt“.

Innensenator Pätzold - er stößt etwas später hinzu - preist seine weise Voraussicht an. Er habe der Polizeiführung geraten, sich auf 10.000 Teilnehmer der revolutionären Demo einzustellen. Die Polizei habe nur 2.000 erwartet. Eine Reihe von Polizisten verwickelt den Senator anschließend an seinen Bühnenauftritt in heftige Diskussionen über Einzelheiten der Mai-Einsätze. Doch eine knappe Mehrheit im Publikum applaudiert dem Argument von Momper und Pätzold, es gelte die „Gewaltbereitschaft zu vermindern“. Nur „in der rechten Ecke“ macht der Moderator einen rechten Block aus. „Nich immer ruff auf die Sozialdemokraten“, ärgert sich ein alter Mann der „zufälljerweise“ vorbeigekommen ist: „Wir ham immer Randalierer jehabt.“

Andere sehen das anders. „Hier hat es noch nie Krawalle gegeben“, ruft ein Mann Momper zu. Da macht sich Erleichterung auf dem Gesicht einer weißhaarigen Frau breit: „Gott sei Dank, in Tegel gibt es sowas nicht.“ Der Moderator leitet zur Pause über: „Jetzt wieder Musik. Bitte sehr.“

hmt