Die Arbeiter-Avantgarde von Sao Bernardo

Die Metallindustrie, die Banken, die Hafenwirtschaft, Teile des öffentlichen Dienstes werden von der Streikwelle in Brasilien erfaßt: insgesamt über zwei Millionen Beschäftigte im ganzen Land. Eines der Streikzentren ist - wieder einmal

-die Industriestadt Sao Bernardo im Industriegürtel um Sao Paulo und Sitz der wichtigsten deutschen und ausländischen Automultis wie von VW, Mercedes, Ford und Scania. Rund 80.000 Arbeiter beteiligten sich in der letzten Woche an einer Massendemonstration in Sao Bernardo.

Die Metaller aus den Großbetrieben der Automultis waren jahrelang die Avantgarde der brasilianischen Arbeiterbewegung. Ihr Organisationsgrad liegt nahe 90 Prozent. Hier wurden die ersten Massenstreiks gegen die staatlich dekretierte Lohnpolitik Ende der siebziger Jahre geführt. Und auch diesmal sind die Mercedes-Arbeiter zu 100 Prozent dabei. Hier setzte die gewerkschaftliche Basisbewegung ihre eigenen Strukturen gegen das gesetzlich reglementierte, vom Staat gegängelte Gewerkschaftswesen durch - alles unter der Führung von Luis Inacio da Silva (Lula). Derzeit wird die Metallgewerkschaft von Sao Bernardo von Vicente Paolo da Silva geführt, der von Mercedes kommt und im letzten Herbst in einem Gespräch mit der taz die Erwartung formulierte, von der IG Metall und vom Internationalen Metallarbeiterbund IMB mehr als bisher beim Aufbau einer „demokratischen, von der Basis aufgebauten, klassenbewußten, pluralistischen Gewerkschaftsbewegung“ unterstützt zu werden.

Verhandlungsführer auf der anderen Seite ist der Chef von Mercedes do Brasil, Louis Scheuer - ein „moderner Manager“. Die Großbetriebe respektieren inzwischen weitgehend das Streikrecht und haben gelernt, mit der gewerkschaftlichen Präsenz in ihren Betrieben umzugehen. Aber dennoch vertraten sie hinsichtlich der Lohnforderungen bisher eine harte Linie. Nachdem Ende April einige kleinere Betriebe mit bis zu 500 Beschäftigten in der Region Sao Bernardo unter dem Druck des Streiks eingelenkt und einen Lohnabschluß mit der Gewerkschaft unterzeichnet haben, hat der Unternehmerverband schließlich ein Angebot in Höhe von 45 Prozent vorgelegt. Während in der ABC-Region, wie der Industriegürtel um Sao Paulo heißt, das Angebot auf zahlreichen Betriebsversammlungen angenommen wurde, sprach sich in Sao Bernardo, wo etwa die Hälfte der Metaller der Region beschäftigt sind, eine deutliche Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks aus.

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