Reden immer sonntags

■ „Speaker's Corner“, die Rede-Ecke an der Weser, startete gestern ins dritte Jahr Wie in London ist es nicht und wird es nicht, aber: Es ist was

Zweierlei muß man sich gleich zu Beginn aus dem Kopf schlagen. Erstens: „Speaker's Corner“, dieser sonntägliche Kommunikations-Nachmittagstreff unter wechselnd freiem Weserhimmel, sei so ein ABM-Projekt. Stimmt nicht und hat nie gestimmt. Aus Spaß an der Freude, ohne eine müde Mark aus irgendeinem Kulturtopf, sowieso ohne Eintritts -Einnahmen, aber mit einigen Gratis-Stuhlplätzen und noch dazu mit höchst preiswerten Angeboten an Säften und Kaffee eröffneten die Speaker's gestern das dritte Jahr ihrer Rede-Ecke. Sie haben es sich einfach nur und immer noch in den Kopf gesetzt, daß die Menschen miteinander ans Reden kommen sollen, sie wollen einen Grund zum Stehenbleiben bieten, zum Schnacken, zum Innehalten.

Damit hängt zusammen Un

sinn zwei: Wie das Londoner Vorbild, das ist nach zwei Jahren an der Weser deutlich, ist die Bremer Rede-Ecke eben eindeutig nicht. Da steht nicht eine Wiese voller Redelustiger, da lösen sich nicht auf 30 umlagerten Podesten Wortgewaltige ab, die ihre strittigen Themen ans Volk bringen wollen und palavernde ZuhörerInnen um sich scharen. Macht aber nichts.

Zuerst war ich gestern ganz dagegen. Da kommt so ein junger Mann daher, trägt einen Sektkübel ohne Sekt in den Händen und will das Reden mit einem Trick anwerfen: „Hier sind Themen drin! Zettel mit Themen!“ Und immer zwei Personen sollen ziehen, aufs kleine Podest steigen

und gleichzeitig jeweils für und gegen so ein Thema drauflosreden, gestoppte drei lange Minuten lang, spontan und unvorbereitet. Also nicht miteinander, sondern geradezu gegeneinander, sich überbietend und überschreiend. Also kein Argumentieren, kein Von-der-Leber-Erzählen, kein Polemisieren, sondern Schaureden, mäkelte ich.

Und sofort ging zweierlei los: Da gab es gutgelaunte Frauen und Männer, die nur Sekunden überlegten und dann lautstark und gestenreich zum besten gaben, was ihnen zum Beispiel zum Telefon einfiel, zu Auto-Abgasen, später auch zu kurzen Hosen. Daß in der Schule nämlich die Ethik fehle, worunter wir alle bei den „Leuten

in Schlüsselpositionen“ später zu leiden hätten, war da zu erfahren, daß Autofahren Spaß mache, die Umwelt von Radlern und Fußgängern entlaste, und auch, daß die Autos dick und dumm machen und das schöne Hollerland als Beute fordern. „Erinnern die Älteren sich noch an den autofreien Sonntag in den 70ern?“ fragte Rednerin Heidsche beschwörend, „da wurde auf dem Buntentorsteinweg Rollschuh gelaufen!“ Und Herr Seiler, Anfang 60 und gebürtiger Augsburger, kommt sonntags praktisch immer an die Weser: „Das ist doch die beschte Rednerschule!“ Und steigt in die Bütt und verkündet: „Ein fortschrittlicher Mensch liest eine gute Zeitung! Viele gibts, eine überragt alle: die taz - das ist ein gutes Blatt, das jedermann zu lesen hat.“

Inzwischen ist die Wiese voller Menschen, trotz grauem Himmel. Und das ist jedenfalls auch der Sinn dieser Quassel-Ecke, findet auch Stefan Pleyn, einer aus der Schauspielgruppe im Bürgerhaus Weserterrassen, die die Speaker's Corner vor drei Jahren aus der Taufe gehoben haben. Kinder erobern die Podeste und krabbeln drauf rum. SpaziergängerInnen aller Altersstufen und Haarfarben gucken, stutzen, kommen näher. Nach einer Stunde stehen schließlich

-Ergebnis Nummer zwei - allerlei Grüppchen zusammen und reden miteinander, wenn auch nicht vom Podest runter. „Wir stellen die Kiste auf und organisieren das - was hier passiert, ist die Sache der Leute“, findet Stefan Pleyn gerade das prima. „Viele denken, wir werden dafür bezahlt, also sollen wir das mal machen. Im Lauf der Zeit kriegt das aber doch einen Eigenlauf.“ Stimmt. Es gibt einen Grund, herzukommen und stehenzubleiben. Gerade ist aus der Gruppe der schalbewehrten, daunenbejackten Leute einer in Unterhose leibhaftig in die Weser gesprungen, um einen Fußball ans Ufer zu retten. Als ich gehe, steigt gerade eine ganze Gruppe RadlerInnen neugierig ab. Das ist es wohl. Susanne Paa

Speaker's Corner, jetzt wieder jeden Sonntag um 15 Uhr an der Weser, unterhalb des Bürgerhauses Weserterrassen