TANZ DER REVOLUTION

■ Das Leningrader Theater des Modernen Balletts in der Akademie der Künste

Man durfte gespannt sein auf das Ballett aus dem von Perestroika geschüttelten Land, wenn man in der Einladung las von der „Alternative zu den klassischen sowjetischen Ballettensembles..., das der zur Perfektion entwickelten Traditionspflege ein Konzept des Experimentierens entgegensetzt, das unter Einbeziehung neuer Musiktendenzen aktuelle Inhalte und im Kernland des klassischen Balletts noch ungewohnte moderne tänzerische Formen ausprobiert...“

Auf dem Programm standen am ersten Abend „Die Legende vom Zaren Solomon“ und „Die Hochzeit des Figaro“. Konnte man bei letzterem noch von vorneherein hoffen, daß der revolutionäre Geist Figaros neu beseelt würde, machte die Legende vom Zaren solchem Ansinnen schon einen Strich durch die Rechnung.

Es ist nicht allein der Inhalt, der an sich schon haarsträubend genug ist, wenn man erfährt, daß dieser Zar sich der Prüfung der Macht unterzieht und deshalb seine Liebe scheitert. Es ist auch nicht allein die Kleidung, die die „Liebe“ und ihre Gespielinnen in blondem Haar und weißen Kleidchen mit rosa Schleifchen zeigt. Es ist nicht die „Macht“ mit bösem, strengen Blick und schwarzem Haar und schwarzen Kleidern, die einen erschauern läßt. Es ist nicht die Vergewaltigungsszene, die der „Liebe“ durch die Knechte des Zaren widerfährt.

Es ist vielmehr die völlig hausbackene klassische Darstellung mit „Hoch das Bein“ und „Hacke, Spitze, eins, zwei, drei“. Und ist der Zar traurig, dann krümmt er sich, und jubelt er, dann reißt er die Arme hoch und jubiliert in der Pirouette.

Wenn das modern sein soll, dann kann man sich nur fragen nach der Zeitverschiebung. Und fragt sich nach dem Mond, hinter welchem sie denn leben? Wahrscheinlich genau hinter dem, den ein Vielzahl von Gästen in der Akademie für die Sonne hält, an der man sich wärmen kann, weil die Verhältnisse so klar sind und die Identifikation mit dem Guten so einfach ist.

Der „Hochzeit des Figaro“, dem zweiten Teil des Abends, ergeht es wie dem ersten. Das kennt man alles, die Rollen sind verteilt wie ehedem, wer Spaß hat, dem wird Spaß gemacht, die Tölpel sind die Tölpel, der Graf ist eitel, der Figaro ein Schlaukopf, die Gräfin vornehm zurückhaltend, die Angebetete anbetungswürdig. Und in diesem Schema springt und tanzt es sich denn auch wieder so wunderbar, als lebten wir vor hundert Jahr. Das ist zu schön, um modern zu sein. Aber es gibt ja Fetischsten, die gern in alten Teilen wühlen und das für modern halten. Das ist ein Abend für die ganze Familie, jugendfrei, keusch, reizend, verlogen wie im richtigen Leben. Aber die Revolution in der Sowjetunion findet entweder woanders statt, oder sie ist so reaktionär wie hier und anderswo.

Qpferdach