MACH'S NOCHMAL SAM

■ Die Toten Hosen im Tempodrom

Es gibt eigentlich keine tausend guten Gründe, auf ein Konzert der Toten Hosen zu gehen, sondern nur drei. Erstens hat sich die Musik seit den 80ern nicht nennenswert weiterentwickelt, wofür Heinos bunter Melodienstrauß jederzeit Zeugnis ablegen kann (Alle zwei Wochen werden frische Punkleichen ausgegraben). Zweitens schulen die Hosen Gehör und Stimme nebst Aufassungsvermögen mit einfachen Weisen und klaren Stellungnahmen („Ficken, Bumsen, Blasen...“). Drittens sind Hosenkonzerte zutiefst demokratisch, da der interaktive Konsument mitproduziert wird: Es darf, es soll, es muß mitgegröhlt werden. (Wer wie letzten Freitag cool auf den Bänken steht und ab und zu kleine Kommentare austauscht, muß sich fragen, was er hier verloren hat. Andere hätten für die gleiche Karte mehr Einsatz gezeigt.) Wo man beim Wiederholen alter und neuer Bekenntnisse erstaunt feststellt, entgegen allen politischen und sozialintegralen Bestrebungen noch da zu sein, dürfen auch die Toten Hosen eigleich sich reproduzieren, zweimal hintereinande'r und das Tempodrom muß nicht ausgefegt werden. Der Rausch so sicher wie das Sixpack vorm Eingang und die Preise drinnen.

Jedenfalls haben die Toten Hosen auf ihrer Provinztour durch westdeutsche, österreichische und luxemburgische Käffer in Berlin gleich dreitausendmal mehr sechzehn Mark macht sechundneunzigtausend Mark - unverzüglich Abzügen abgesahnt, plus sechstausend Fortuna Mark, wofür ein beinstarker Ball- und Gegnertreter für die heimische Heimchen-am-Herd-Mannschaft gekauft werden soll, wo die Hosen das Gröhlen gelernt haben, aber nicht mehr sinnvoll einsetzen können. Eine völlig schwachsinnige Investition für jeden, der vor Jahren das einzige Tor verpaßt hat, nur weil er eben mal auf die Seite geguckt hat.

Während die Hosen noch auf der Leine hinter den Zelten flattern, erfreuen andere auferstandene Leichen das Publikum. Restbestände der Lurkers schrubben auf ihre Gitarren ein. Von draußen hört sich das gar nicht so schlecht an, allein, man kennt es nicht. Ein fünfjähriges Mädchen mit Stretchminirock, Alfbottom an der Jeansjacke und Nina-Hagen-Lidstrich fragt bereits etwas genervt: „Wann kommt Alex“, ihre Mutter nippt am heißen Tee. Auch andere Jungfans mit gefärbten Stylingfransen bewiesen den Einzug der Toten Hosen in die Kitas, die Eltern hatten sich wohl aufgrund des schlechten Fernsehprogramms breitschlagen lassen (Ach DoRoh, es ist ja so brutal, aber man wird immer früher älter, heutzutage. Darf ich dir über die straße helfen? sezza). Schließlich war speziell ihnen das erste Lied gewidmet: „In einer Zeit, in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht, ist die größte Aufregung, die es noch gibt, das allabendliche Fernsehbild...“ Vielleicht hat der Abstieg der Toten Hosen zu kritischen Texten zu tun mit diesen schlechten Reimen, was im trockenen Zustand bedrückt. (Weiter unten reimt sich Urkwerk auf Wert.)

Ihren Tiefstand erreichten die Evergreens mit der Beatles -Schnulze „I feel fine“, zu dieser Zeit hing Campino, der zu Anfang vernünftig drum gebeten hatte, sich beim Pogotanzen gegenseitig aufzupflücken, statt totzutreten, schon ziemlich in den Seilen beziehungsweise mit dem Kopf ins Pogo-Publikum und hatte sein Hosenschicksal in die Hände eines Rowdies gelegt. Zwei Zugaben, darunter die immer wieder ergreifenden Alcoholic-Manifeste „Eisgekühlter Bommerlunder“ beziehungsweise „Und die Jahre ziehen ins Land, und wir trinken immer noch ohne Verstand“ versöhnten für diesen Abend mit Gott, der Welt und den Kindertagesstätten.

DoRoh