Tschernobyl-betr.: "In Korrelation mit dem Supergau", taz vom 26.4.89

betr.: „In Korrelation mit dem Supergau“, taz vom 26.4.89

Zur Bremer Studie über die Säuglingssterblichkeit in Süddeutschland nach Tschernobyl möchte ich zwei Dinge kritisieren, die zusammengenommen das Ergebnis der Studie in Frage stellen:

1. Die Annahme einer Regressionsgerade ist willkürlich.

Sie geht jedenfalls aus dem tatsächlichen Verlauf der Dreimonatsmittel für die Säuglingssterblichkeit („Meßpunkte“) nicht eindeutig hervor. Sie unterstellt einen exponentiellen Verlauf, der theoretisch wohl kaum begründet ist. Feststellen läßt sich eine Abnahme der Säuglingssterblichkeit seit 1975, mehr aber auch nicht. Ob aber der „Tschernobyleffekt“ signifikant ist, hängt ganz entscheidend vom „Untergrund“ ab und damit von der Wahl der Kurve, die den langjährigen Trend wiedergibt. Eine gekrümmte Kurve gibt diesen Verlauf jedenfalls besser wieder, wie man sieht, wenn man die abgebildete Folie auf die Meßpunkte auflegt und die Gerade wegdenkt.

2. Die relative Genauigkeit der Meßpunkte ist falsch dargestellt.

Seit 1975 sank die Säuglingssterblichkeit („Effekt“) um etwa den Faktor 3. Je größer der Effekt umso größer die relative Genauigkeit. Die beiden gestrichelten Linien stellen den „Vertrauensbereich“ damit falsch dar. Auf der abgebildeten Folie ist auch der Fehlerbalken bei einer Größe des Effekts von 10 (pro 1.000 Geburten nehm‘ ich an) und von 3 eingezeichnet.

Berücksichtigt man beide Kritikpunkte, so ist der „Tschernobyleffekt“ nicht mehr signifikant. Andererseits ist damit auch nicht bewiesen, daß Tschernobyl keinen Einfluß auf die Säuglingssterblichkeit gehabt hat. Um nachweisbar zu sein, hätten aber in den Monaten danach mehr als etwa zehn Säuglinge pro Monat zusätzlich sterben müssen. Und das läßt sich mit der Studie meiner Meinung nach nicht nachweisen.

Interessant wäre der weitere Verlauf der Säuglingssterblichkeit nach 1987, der in der Studie nicht mehr dargestellt ist. Wo liegt sie heute, drei Jahre nach Tschernobyl? Es ergäben sich daraus Hinweise über den tatsächlichen „Untergrund“.

Schade, daß Jens Scheer, den ich wegen seines Engagements in der Anti-AKW-Bewegung sehr schätze, Gefahr läuft, sich mit dieser Studie unglaubwürdig zu machen.

Alfred Körblein, München

Anmerkung der Redaktion:

Die neuen Zahlen der Säuglingssterblichkeit liegen wegen der Verzögerung der statistischen Arbeit durch die Volkszählung noch nicht vor.